Internationale Komunistische Partei Das invariante und einheitliche Werk der Partei

 

Internationale Kommunistische Partei

Thesen zur historischen Aufgabe, Aktion und Struktur der kommunistische Weltpartei, gemäss den Positionen, die seit über einem halben Jahrhundert das historische vermögen der kommunistischen Linken bilden

(Die Thesen von Neapel - Il programma comunista Nr. 14, 1965)

  


1. Die auf die Theorie und Lehre der Partei, auf ihre Aktion in den sukzessiven Situationen, daher auf ihr Programm, ihre Taktik und organisatorische Struktur historisch bezogenen Fragen sind als ein einziges Ganzes zu fassen; im Verlauf des Kampfes der Linken wurden sie viele Male systematisiert und formuliert, ohne jemals abgeändert zu werden. Die Wiedergabe der entsprechenden Texte obliegt der Parteipresse, hier soll es genügen, an einige Eckpfeiler zu erinnern:

2. In diesen und vielen anderen Texten, die heranzuziehen sind, werden immer wieder bestimmte Resultate festgehalten, die wir vorgefunden haben und als das Vermögen des revolutionären Marxismus ansehen, auf dessen klassische programmatische Schriften, wie das Manifest und die Statuten der I. Internationale von 1864, wir uns gestützt haben.
     Nicht minder nehmen wir die programmatischen Eckpfeiler des 1. und 2. Kongresses der 1919 gegründeten KI, wie auch die Grundsatzthesen Lenins über den imperialistischen Krieg und der (damals noch bevorstehenden) russischen Revolution in Anspruch. Zugleich wurde durch eine klar eingenommene Haltung die historische und programmatische Lösung, die aus der Bewältigung der großen Krisen resultierte, zum Vermögen der Linken; in großen Zügen finden sich darin auch die Theorie der Konterrevolutionen und die Lehre des Kampfes gegen die immer wieder auftauchende opportunistische Gefahr. Solche, an die unversehrte theoretische Anschauung wie an großartige Massenkämpfe gebundene Eckpfeiler sind z.B.:

     a) Das von Marx forcierte Abdrängen der kleinbürgerlichen und anarchistischen Strömungen, die das Grundprinzip des Zentralismus und der Disziplin gegenüber dem Organisationszentrum in Frage stellten; ein für alle Mal verworfen waren damit die Autonomie lokaler Sektionen und der Föderalismus zwischen den nationalen Sektionen der Weltpartei, beides Gründe für den schändlichen Untergang der 1889 gegründeten und im Krieg von 1914 zerbrochenen II. Internationale.
     b) Die von Marx im Namen der Internationale vorgenommene Bewertung der glorreichen Erfahrung der Pariser Kommune, worin die Überwindung der parlamentarischen Methoden ebenso bekräftigt wird wie die Begeisterung, mit der die aufständische und terroristische Kraft der großen Pariser Bewegung aufgenommen wurde.
     c) Die von der Linken am Vorabend des I. Weltkrieges ausgesprochene Verurteilung nicht nur des in der ganzen Internationale auftauchenden Revisionismus und Reformismus – die darauf zielen, die Revolution gradualistisch zu verwirklichen, was bedeutet, die marxistische Auffassung vom katastrophischen Verlauf des Kapitalismus zu demontieren –, sondern auch die Reaktion darauf, die scheinbar proletarisch im Sinne des „Arbeitertümlertums“ auftrat (und völlig mit dem Labourismus der äußersten Rechten zusammenfällt). Dieses Arbeitertümlertum geht auf den revolutionären Syndikalismus Sorels und Anderer zurück, die unter dem Vorwand, zur Gewalt der direkten Aktion zurückzukehren, die marxistische Position zur Notwendigkeit einer zentralisierten Partei und eines proletarischen, diktatorischen und terroristischen Staates verwarfen – beides Voraussetzungen der kommunistischen Gesellschaft ohne Klassen und ohne Staat, die den weltweiten Sieg vollenden wird, und beides die einzigen Werkzeuge, die fähig sind, die Insurrektion der Klasse zum Sieg zu führen und die Revanche- und Korrumpierungsversuche der bürgerlichen Gegenoffensive zu vereiteln.
     d) Die von Lenin und der internationalen Linken geleistete Kritik und schonungslose Vernichtung des niederträchtigen Verrats von 1914, dessen schlimmste und tödlichste Form weniger der Wechsel unter die patriotischen Fahnen der verschiedenen Nationalitäten als der Rückfall in (zeitgleich mit der Entstehung des marxistischen Kommunismus aufgetretenen) Positionen war, mittels derer das Programm und die Aktion der Arbeiterklasse in den bürgerlichen Kanon, welcher die Freiheit und parlamentarische Demokratie als ewige Errungenschaften rühmt, eingliedert werden sollten.

3. Hinsichtlich der darauf folgenden Lebensphase der neuen Internationale vermehrte sich das Vermögen der Linken durch die richtige theoretische Diagnose und historische Vorhersicht der in den ersten Lebensjahren der KI wieder auftretenden opportunistischen Gefahren. Dies soll, um schwerverdauliches „Theorietümlertum“ zu umgehen, mittels der historischen Methode entwickelt werden. Die ersten opportunistischen Gefahren, vor denen die Linke früh warnte, zeigten sich in der Taktik hinsichtlich der Beziehungen zu den alten sozialistischen Parteien der II. Internationale, von denen die Kommunisten sich endlich organisatorisch abgespalten hatten, und folglich auch in falschen Maßregeln auf dem Gebiet der Organisationsstruktur.
     Schon 1921 konnte man das Abebben der großen revolutionären Welle nach dem Kriegsende von 1918 und die Gegenoffensive, die der Kapitalismus sowohl auf ökonomischem als auch politischem Gebiet starten würde, vorhersehen; auf dem 3. Kongress der KI im Juni 1921 war richtig festgestellt worden, dass es nicht ausreicht, kommunistische, streng dem Programm der militanten Aktion, der proletarischen Diktatur und dem kommunistischen Staat verpflichtete Parteien gebildet zu haben, solange ein großer Teil der proletarischen Massen den Einflüssen der opportunistischen Parteien verhaftet bleibt. Wir alle sahen in jenen Parteien, an deren Händen das Blut von Karl und Rosa klebte, die schlimmsten Werkzeuge der Konterrevolution. Die Linke akzeptierte aber nicht jene Formulierung, nach der die Eroberung der proletarischen „Mehrheit“ (wobei nie klar gestellt wurde, ob das wirkliche Lohnarbeiterproletariat oder das „Volk“, einschließlich der bäuerlichen Grundeigentümer, Zwergkapitalisten, Handwerker und aller übrigen Kleinbürger, gemeint war) zur Vorbedingung der revolutionären Aktion wurde. Diese Formel der „Mehrheit“ mit ihrem demokratisch-üblen Geruch war ein erstes Alarmzeichen und ließ befürchten, was historisch leider auch eintrat, nämlich dass der Opportunismus, hereingeschmuggelt unter der Fahne der Ehrerbietung gegenüber den verheerenden Begriffen von Demokratie und Stimmenzählerei, erneut sein Haupt erhob.
     Seit dem 4. Kongress, Ende 1922, wiesen die pessimistische Voraussicht und der mutige Kampf der Linken weiterhin auf gefährliche taktische Schritte (Einheitsfront zwischen kommunistischen und sozialistischen Parteien, die Losung der „Arbeiterregierung“) und organisatorische Fehler hin (die kommunistischen Parteien sollten nicht nur durch den Zulauf von Proletariern vergrößert werden, die aus den anderen Parteien sozialdemokratischer Praxis und Struktur austreten würden, sondern die zahlenmäßige Verstärkung sollte auch durch Verschmelzungen erreicht werden, was hieß, ganze Parteien oder Teile davon sollten nach direkten Verhandlungen mit deren Führungsstäben der Komintern beitreten können, ebenso wie sogenannte „sympathisierende“ Parteien als nationale Sektionen in die Komintern aufgenommen werden sollten – was ein offenkundiger Rückfall in die föderalistische Konzeption war). Die Erstarkung der opportunistischen Gefahr wurde von der Linken noch in einer dritten Hinsicht, und in den folgenden Jahren immer eindringlicher, aufgezeigt: Es handelte sich hierbei um den Umgang innerhalb der KI, bei dem das durch die Exekutive repräsentierte Zentrum gegen Parteien (oder auch nur Teile davon) vorging, die zu Recht oder Unrecht politischer Irrtümer bezichtigt wurden: Methoden nicht nur des „ideologischen Terrors“, sondern vor allem des organisatorischen Drucks, etwas, was sehr bald eine falsche Anwendung und allmählich eine totale Verfälschung der richtigen Prinzipien der Zentralisierung und innerparteilichen Disziplin zur Folge hatte. Diese Methoden verschärften sich überall, besonders aber in Italien nach 1923 (wo die Linke, mit der ganzen Partei hinter sich, sich in Sachen Disziplin beispielhaft verhielt, indem sie die Führungsaufgaben an die von Moskau eingesetzten rechten und zentristischen Genossen weiterleitete), insofern das Gespenst des „Fraktionismus“ schwerwiegend missbraucht wurde, genauso wie die ständige Drohung, eine künstlich der Spaltungsabsichten beschuldigte Strömung aus der Partei auszuschließen; alles was erreicht wurde, war, dass die gefährlichen zentristischen Fehler in der Politik der Partei die Oberhand gewannen. Dieser dritte lebenswichtige Punkt wurde auf den internationalen Kongressen und in Italien eingehend diskutiert: Er ist nicht minder wichtig wie die Verurteilung der opportunistischen Taktiken und der organisatorischen Formeln föderalistischen Typs. Während z.B. die Parteiführung der Linken der Jahre 1921-22 eines diktatorischen innerparteilichen Regimes bezichtigt wurde, hielt sich die zentristische Führung (die oftmals gezeigt hatte, mit der Linken völlig übereinzustimmen) daran, das ganze Spektrum der Anweisungen aus Moskau zu befolgen, wobei sie sich sogar traute, den Ausdruck der „Internationalen Kommunistischen Partei“ zu benutzen; so auch Palmiro Togliatti, wahrer Meister bei der Liquidation der Kommunistischen Internationale, 1925 bei einer Polemik vor dem Parteitag von Lyon.

4. Es war leicht, der Linken, die auf die Vorboten einer tödlichen Krise hinwies, vorzuhalten, sich einzig um theoretische Abweichungen zu sorgen; eben darum ist es nützlich zu zeigen, dass sich die Kritikpunkte und Diagnosen historisch bestätigt haben.
     Was die taktische Frage betrifft, reicht es, daran zu erinnern, dass die Einheitsfront mit der Absicht vorgeschlagen wurde, die sozialistischen Parteien zu „zerschlagen“ und die deren Führern und Generalstäben noch folgenden Massen zu uns herüberzuziehen. Die Anwendung dieser Taktik hat die ihrer impliziten Gefahr belegt, nämlich in den Verrat und zur Aufgabe der revolutionären Klassengrundlagen unseres Programms zu führen. Die historischen Folgen der Einheitsfront von 1922 liegen heute offen zutage: Es sind die zur Unterstützung des II. Weltkrieges des demokratischen Kapitalismus geschaffenen Volksfronten und die antifaschistischen „Befreiungsfronten“; beide führten zur offenen Klassenkollaboration, denn sie schlossen sehr bald auch erklärtermaßen bürgerliche Parteien ein; das Ganze kulminiert in der monströsen Entstehung der letzten opportunistischen Welle auf den Trümmern der III. Internationale. Die mit den Verschmelzungen von 1922 einsetzenden organisatorischen Manöver haben die Basis einer totalen Verwirrung gelegt, die heute in der parlamentarischen und demokratischen Ausrichtung aller Parteien zum Ausdruck kommt, die „kommunistischen“ Parteien nicht ausgenommen, die so die parlamentarischen Thesen Lenins vom 2. Kongress in Stücke rissen. Seit dem 20. Kongress der KPdSU 1956, auf dem die weltumspannende Organisationseinheit auch formell beerdigt wurde, um verschiedene sozialistische und Arbeiterparteien und in dem einen oder anderen Land sogar Volksparteien zuzulassen, ist das eingetroffen, was die Linke vorausgesehen hatte, nämlich auch das Programm der proletarischen Diktatur zu verwerfen, indem man es als ein rein russisches Phänomen bezeichnete und „nationale“ sowie demokratische Wege zum Sozialismus einführte – was nichts anderes als den Rückfall in eben denselben Opportunismus von 1914 bedeutet, nur noch schlimmer und niederträchtiger, da man dies im Namen Lenins durchgeführt zu haben vorgibt.
     Während 1926 die Zentristen heuchlerisch „ein wenig mehr Demokratie innerhalb der Partei und der Internationale“ verlangten (was von der Linken, die ihre Opposition aufrechterhielt, obwohl sie bis dahin weder mit dem Austritt aus der KI noch mit der Spaltung der Partei gedroht hatte, richtigerweise zurückgewiesen wurde), wurde die von uns kritisierte Arbeitsweise der III. Internationale und des von oben ausgeübten Drucks schließlich historisch im fürchterlichen stalinistischen Terror bestätigt. Die Staatsgewalt wurde eingesetzt, um die Partei von innen heraus zu zerstören, d.h. mittels Tausender von Ermordeten einen Widerstand zu brechen, der im Namen der Rückkehr zum revolutionären Marxismus und zu den großen leninistischen und bolschewistischen Traditionen geleistet wurde. All diese Positionen besaßen eine richtige Voraussicht des zukünftigen Verlaufs der Ereignisse, auch wenn die Kräfteverhältnisse leider so waren, dass die dritte opportunistische Welle alles mit sich fortreißen konnte.
     Die Linke wies rechtzeitig auf die einzuschlagenden Wege in den Beziehungen zwischen den Parteien und der KI sowie zwischen der russischen Partei und dem russischen Staat hin. Historisch hängt die Verkehrung dieser Positionen engstens mit der Frage der Beziehung zwischen der russischen Staatspolitik und der proletarischen Politik in den anderen Ländern zusammen. Als unter Stalin, der im Herbst 1926 im EKKI alle seine Karten auf den Tisch legte, erklärt wurde, dass der russische Staat die Vorstellung aufgebe, seine Zukunft von einem allgemeinen Klassenzusammenstoß, der die Macht des Kapitals in allen anderen Ländern stürzen würde, abhängig zu machen, und Stalin hinsichtlich der russischen Wirtschaft kundtat, sich dem „Aufbau des Sozialismus“ zuzuwenden (eine Sache, die in der Sprache Lenins nichts anderes bedeutete, als den Kapitalismus aufzubauen), war der weitere Verlauf bereits vorgezeichnet: Er trat im blutigen Konflikt zutage, in dem die Opposition ausgerottet wurde; zu spät hatte sie sich in Russland erhoben und war im gleichen Augenblick unter der schmutzigen Anschuldigung des Fraktionismus zertreten worden.
     Diese ganze Sache steht im Zusammenhang mit dem heiklen Problem, das sich – nachdem allen Parteien im Namen eines angeblichen, jedoch trügerischen Zentralismus der berühmte „Apparat“ aufgedrückt worden war – weniger an der Suggestivkraft entschied, die solch große Namen wie Bolschewismus, Lenin, Oktober hervorriefen als an der banalen ökonomischen Tatsache, dass der Moskauer Staat über die Mittel verfügte, mit denen die Funktionäre bezahlt wurden. Die Linke schwieg heldenhaft gegenüber dieser Schande, denn sie wusste um die andere, schreckliche Gefahr der kleinbürgerlichen und anarchistischen Verdrehung, welche schon auf der Lauer lag: „Seht ihr, letzten Endes ist es doch immer dasselbe: Wo es einen Staat, wo es Macht und eine Partei gibt, ebendort gibt es auch Korruption. Wenn das Proletariat sich emanzipieren will, muss es dies ohne autoritäre Parteien und Staaten bewerkstelligen!“ Wir wussten nur zu gut, dass, wenn es auf der einen Seite seit 1926 die Linie Stalins war, den Sieg dem bürgerlichen Feind auszuliefern, auf der anderen solche intellektuelloiden Mittelklasse-Abweichungen (und jetzt schon ein ganzes Jahrhundert lang) die beste Garantie für das Überleben des niemals satten Kapitalismus boten, denn sie entrissen den Händen seiner Totengräber die einzige Waffe, die ihn niederringen kann.
     Zu dieser schäbigen Macht des Geldes, das (nach einer Kette von Maßnahmen, von denen die Durchsetzung der kommunistischen Diktatur nur das erste ist) in der kommunistischen Gesellschaft verschwunden sein wird, kam noch die Handhabung einer Waffe, die wir deutlich als der Parlamente, der bürgerlichen Diplomatie oder der extrem bürgerlichen Völkergemeinschaft würdig erklärten: Nämlich das Mittel der Beförderung bzw. Verunglimpfung, je nach dem Karrierestreben und den eitlen Ambitionen der die Reihen der Regierungsparteien bevölkernden Führungskader, sodass jeder unvermeidbar vor der Alternative stand, entweder sofort und ohne große Anstrengung allgemeine Anerkennung zu ernten, nachdem man die Thesen der allmächtigen Zentrale gesenkten Hauptes angenommen hatte, oder ins Dunkel und vielleicht sogar Elend zu versinken, wenn man die richtigen revolutionären Thesen, die die Zentrale hatte fallen lassen, verteidigen wollte.
     Aufgrund der historischen Evidenz steht heute außer Frage, dass sich die internationalen und die nationalen Zentralen auf dem abweichenden und in den Verrat führenden Weg befanden; für die immer gleiche Theorie der Linken ergibt sich daraus, ihnen jedes Recht abzusprechen, im Namen einer heuchlerischen Disziplin blinden Gehorsam der Basis erwarten zu können.

5. Nach dem Ende des II. Weltkrieges fand die Arbeit zur Wiedererrichtung der Klassenpartei überall eine extrem schwierige Lage vor. Die internationalen und gesellschaftlichen Entwicklungen und Umstände dieser entsetzlichen Geschichtsperiode hatten das opportunistische Vorhaben begünstigt, nämlich alle Linien des Klassenkampfes auszulöschen und dem geblendeten Proletariat die Notwendigkeit einzubläuen, die Wiedereinführung der parlamentarisch-demokratischen Verfassungen auf dem ganzen Globus zu unterstützen.
     Dieser erbarmungslosen Situation des Gegen-den-Strom-Schwimmens, die dadurch verschärft wurde, dass sich breite Arbeitermassen in die Praktik der Stimmenabgabe stürzten – das falsche Revolutionäre noch schamloser apologisierten als es die Revisionisten ein halbes Jahrhundert zuvor hätten tun können –, dieser Situation konnte unsere Bewegung nur entgegentreten, indem sie sich auf das gesamte Vermögen stützte, das aus der langen und schweren historischen Wechselfolge hervorgegangen war. Der alten Instruktion (dem „Faden der Zeit“) folgend, wandte sich unsere Bewegung der Aufgabe zu, dem Proletariat die im langen Verlauf des schmerzhaften Rückzugs eingebrannte Bedeutung der historischen Ergebnisse wieder vor Augen zu führen. Es ging nicht darum, diese Ergebnisse als eine Art Bildungswissen oder als Propagandalehren unters Volk zu bringen, sondern aufzuzeigen, dass Theorie und Aktion dialektisch unlösbar miteinander verknüpft sind und dass die Lehren nicht Bücherweisheiten oder Professorengelehrtheit darstellen, sondern sich vielmehr aus dynamischen Bilanzen (um das heutzutage den Philistern zur Beute gewordene Wort „Erfahrung“ zu umgehen) von Zusammenstößen ableiten, die zwischen realen Kräften von beträchtlicher Größe und Ausdehnung stattgefunden haben, wobei die Fälle, bei denen die Bilanz schließlich in einer Niederlage der revolutionären Kräfte mündete, nicht minder wichtig waren. Das ist das, was wir nach dem klassischen marxistischen Kriterium „die Lehren der Konterrevolution“ genannt haben.

6. Andere Schwierigkeiten, die Geschehnisse anhand der unserer Bewegung eigenen Grundlagen einzuordnen, beruhten auf zu optimistischen Perspektiven: Wie das Ende des I. Weltkrieges eine große revolutionäre Welle und, durch das Handeln der Bolschewiki, durch Lenin, durch den russischen Sieg, die Verurteilung der opportunistischen Seuche herbeigeführt habe, so würde das Ende des II. Weltkrieges historisch ähnliche Phänomene hervorrufen und die rasche Wiedererrichtung einer sich auf die großen Traditionen berufenden revolutionären Partei ermöglichen. So großherzig diese Perspektive auch sein mochte, so schwerwiegend irrte man sich, da das „Bedürfnis nach Demokratie“, das dem Proletariat eingeflößt worden war, unterschätzt wurde. Ein Bedürfnis, das weniger durch das grausame Vorgehen des italienischen und deutschen Faschismus als durch den verheerenden Rückfall in die Illusion geweckt worden war, dass nach Wiedereroberung der Demokratie alles ganz natürlich wieder auf den revolutionären Weg zurückführen würde. Zum Hauptvermögen der Linken gehört indes das Bewusstsein, dass die größte Gefahr in den volkstümlichen und sozialdemokratischen Illusionen lauert, die nicht etwa Basis einer neuen, den Schritt von Kerenski zu Lenin machenden Revolution, sondern Grundlage des Opportunismus sind – der mächtigsten konterrevolutionären Kraft.
     Für die Linke ist der Opportunismus kein der Moral oder Verderbtheit Einzelner geschuldetes Phänomen, sondern eine gesellschaftliche und historische Erscheinung, aufgrund derer die proletarische Avantgarde einer politischen Vereinigung zwischen Proletariat und Mittelklassen den Weg ebnet, statt sich auf das Kräftemessen vorzubereiten, bei dem sie gegen die reaktionäre Front der Bourgeoisie und die noch konservativere kleinbürgerliche Schicht antreten wird. In dieser Hinsicht unterscheidet sich das Phänomen des Opportunismus nicht von dem des Faschismus, denn in beiden Fällen handelt es sich um die Versklavung an kleinbürgerliche Schichten, zu denen auch die sogenannten Intellektuellen und die sogenannten politischen bzw. bürokratisch-technokratischen Klassen zählen. In Wirklichkeit sind es historisch nicht-lebensfähige Klassen und verachtenswerte, marginale und kriecherische Schichten, in denen sich eher als Klassendeserteure (wie Marx die bürgerlichen Individuen nannte, die zur revolutionären Klasse überlaufen) die treuesten Knechte der kapitalistischen Konservation finden. Die Nachkriegsbewegung schien sogar in die Illusion zurückzufallen, in den Parlamenten etwas zu erreichen, mag dies auch nur dem frommen Wunsch entsprungen sein, den Lenin’schen Thesen wieder Leben einzuhauchen; nicht in Betracht gezogen wurde jedoch die historische Bilanz, die unwiderruflich nachgewiesen hatte, dass diese Taktik – so edel und großartig sie 1920 gewesen sein mag, als die Geschichte um ein Gleichgewicht der Kräfte zu schwanken schien – nicht die Perspektive eines revolutionären Angriffs eröffnen konnte, der darauf zielte, die Parlamente von innen heraus zu sprengen; indes wurde alles auf eine triviale Revanche gegen den Faschismus reduziert, wie etwa mit dem Ausruf Modiglianis „Viva il parlamento!“ (1).

7. Insofern es sich um einen Übergang und eine historische Weitergabe der Lehren von einer Generation, die die glorreichen Kämpfe der ersten Nachkriegszeit und die Spaltung von Livorno erlebt hatte, an eine neue proletarische Generation handelte, die es von der tumben Glückseligkeit über den Sturz des Faschismus frei zu machen galt, um ihr die selbständige Aktion der revolutionären Partei gegen alle anderen – vor allem gegen die sozialdemokratische Partei – wieder ins Bewusstsein zu bringen, damit der Perspektive der proletarischen Diktatur und dem proletarischen Terror geweihte Kräfte wieder aufgebaut werden konnten, konnte die neue Bewegung organisch und spontan den Arbeitsplan ihrer, bereits einer 50jährigen Bewährungsprobe ausgesetzten Aktivität aufstellen. Die Partei verfolgte eine Zielsetzung, die in der kommunistischen Linken seit der Zeit der II. Internationale und dann während des historischen Kampfes gegen die opportunistischen Gefahren in der III. bestanden hatten. Dieses seit hundert Jahren verfolgte Ziel besteht im Kampf gegen die Demokratie, gegen jede Einflussnahme dieses bürgerlichen Mythos, und es hat seinen Ursprung in der marxistischen Kritik, in den Grundlagentexten und in den ersten Dokumenten der proletarischen Organisationen, angefangen mit dem „Kommunistischen Manifest“.
     Wenn die Geschichte sich mitnichten durch den Einfluss besonderer Individuen erklären lässt, die sich durch physische Stärke oder auch intellektuelle und moralische Qualitäten auszeichnen konnten; wenn der politische Kampf fälschlicherweise so aufgefasst wird, dass er sich auf besondere und „auserwählte“ Personen stützt (gleich ob durch Gottesgnadentum, oder durch Eliten oder – in der von allen Formen uns feindlichsten – durch Urnengänge auserwählt), was unserer Sicht der Dinge diametral entgegensteht; und wenn sich (indem die ökonomischen Verhältnisse aufgedeckt werden, die innerhalb der verschiedenen Produktionsweisen zwischen den Klassen bestehen) an den nicht mehr kritischen, sondern gewaltsamen und bewaffneten Schlachten ablesen lässt, dass die Geschichte eine Geschichte von Klassenkämpfen ist; und wenn dann dieses fundamentale Theorem durch das von unzähligen Kämpfern vergossene Blut bestätigt wurde, und die demokratische Mystifikation es schaffte, die großherzigen Anstrengungen zunichte zu machen; und wenn schließlich das Vermögen der kommunistischen Linken auf dieser Bilanz der Unterdrückung, der Ausbeutung und des Verrats errichtet worden war – dann musste der Weg der sein, sich immer mehr vom tödlichen demokratischen Mechanismus zu befreien (nicht nur in der Gesellschaft und ihren verschiedenen Körperschaften, sondern in der revolutionären Klasse selbst und vor allem in ihrer politischen Partei). Seitdem die Linke gegen die Wahlblöcke und den Einfluss der Freimaurer-Ideologien kämpfte; seitdem sie dagegen kämpfte, das Proletariat zuerst in die Kolonialkriege und dann in den ungeheuren I. Weltkrieg hetzen zu lassen, der (vor allem, weil das Gespenst von Freiheit und Demokratie seine Wirkung nicht verfehlte) über die proletarische Zielsetzung triumphierte zu desertieren und die Waffen gegen die zu drehen, die es sie hatte ergreifen lassen; seitdem sie sich schließlich in allen Ländern Europas und unter Führung des revolutionären russischen Proletariats in den Kampf stürzte, um den direkten Feind und die Zielscheibe zu treffen, unter der sich das Herz der kapitalistischen Bourgeoisie befand, nämlich die rechte Sozialdemokratie und das noch niederträchtigere Zentrum der SPI, welches (indem es uns verleumdete, wie es den Bolschewismus, den Leninismus und die sowjetische Diktatur verleumdet hatte) alle Register zog, um wieder eine Brücke (in Wahrheit eine Falle) zwischen dem proletarischen Vormarsch und dem kriminellen demokratischen Ideal zu schlagen – seit all dem hat dieses Ziel der Linken, das sich nicht auf eine wunderbare Intuition oder eine rationale „Aufklärung“ von Denkern zurückführen lässt, sondern mit den Ergebnissen einer Reihe realer, gewaltsamer, blutiger und erbarmungsloser Kämpfe (auch wenn sie mit einer Niederlage der revolutionären Kräfte geendet haben) engstens verzahnt ist, in all diesen Kämpfen seine Spuren hinterlassen. Diese Zielsetzung, sich von jedem Einfluss, sei es auch nur des Wortes „Demokratie“ loszumachen, findet sich so auch in den zahllosen Texten der Linken, die wir anfangs kurz anführten, wieder.

8. Überzeugt von der historischen Größe, Strenge und Dauer der eigenen Arbeit konnte die neue Bewegung keine zweifelhaften, nach schneller Karriere trachtenden Elemente anziehen, denn sie versprach keine kurzfristigen Erfolge, schloss diese vielmehr aus. Der Plan ihrer Arbeit, deren Struktur, machte das häufige Zusammentreffen mit Delegierten aller organisierten Orts- und Bezirksgruppen notwendig: dabei wurden keine Debatten, Widersprüche und Polemiken zwischen gegensätzlichen Thesen unterbreitet (was immerhin infolge der Nostalgie der antifaschistischen Krankheit sporadisch hätte auftauchen können), und es gab nichts, worüber hätte abgestimmt und beschlossen werden sollen; es gab nur die organische Kontinuität der ernsten Arbeit, die die fruchtbaren Lektionen der Vergangenheit an die gegenwärtigen und zukünftigen Generationen zu übergeben hat, an die neuen Avantgarden, die aus den zehn- und hundertmal betrogenen und enttäuschten Massen hervorgehen, und sich endlich gegen das mit Schmerzen verbundene Phänomen der eitrigen Verwesung der kapitalistischen Gesellschaft erheben werden. Am eigenen Leib werden sie deren extreme und giftigste Form zu spüren bekommen, nämlich die Heere der sich auf das Volk berufenden Opportunisten, der Technokraten der großen Gewerkschaften und Parteien, und die Scharen lächerlicher auserwählter Gruppen von Intellektuellen und Künstlern, die sich „verpflichtet“ oder „engagiert“ haben, um sich mit ihren niedrigen Aktivitäten ein paar Brötchen zu verdienen; dafür unterwerfen sie sich der Botmäßigkeit der reichen Klassen, und schmeicheln dem bürgerlichen und kapitalistischem Gemüt, das den mittleren, sich als Volk gebärdenden Klassen eigen ist.
     Unsere Arbeit, bzw. diese Dynamik, folgt der klassischen Lehrmethode von Marx und Lenin, die die revolutionären historischen Wahrheiten in Thesenform darstellten; und diese, sich in ihren Entwürfen an die großen marxistischen Überlieferungen haltenden Thesen und Berichte werden durch die Delegierten (auch dank unserer Presse) in alle Zusammenkünfte der Orts- und Bezirksgruppen zurückgetragen, wodurch das gesamte historische Material in der ganzen Partei verbreitet wird. Der Einwand, es handele sich um vollkommene, unwiderrufliche und unveränderliche Texte, würde keinen Sinn machen, denn wir haben all die Jahre hindurch erklärt, dass es sich um Materialien handelt, an denen ständig gearbeitet werden muss, und deren Form immer besser und vollständiger werden soll; so dass aus allen Reihen der Partei, auch von ganz jungen Mitgliedern, immer häufiger Beiträge geliefert wurden, die bewundernswert sind und vollkommen mit den klassischen Linien übereinstimmen.
     Nur durch die Entwicklung der Arbeit in diese Richtung erwarten wir die quantitative Erweiterung unserer Reihen und spontanen Zulauf zur Partei – was eines Tages eine größere soziale Kraft aus ihr machen wird.

9. Bevor wir das Thema der Formierung der Partei nach dem II. Weltkrieg abschließen, sollen noch einige, heute als charakteristische Merkmale der Partei geltende Resultate genannt werden; ungeachtet des geringen quantitativen Umfangs der Bewegung sind es de facto historische Resultate, die nicht durch entbehrliche Genies oder feierliche Resolutionen „souveräner“ Kongresse vernebelt wurden.
     Sehr schnell erkannte die Partei, dass – auch in einer extrem schwierigen und äußerst unfruchtbaren Situation – eine Sichtweise abzuwehren ist, nach der die Strömung als bloß im propagandistischen und agitatorischen Sinn aktiv aufgefasst wird. Im Parteileben muss überall, jederzeit und ausnahmslos die dauernde Anstrengung aufgebracht werden, in das Leben der Massen, in ihre unmittelbaren Tagesforderungen, die unter dem Einfluss uns entgegengesetzter Direktiven stehen, zu intervenieren. Eine alte These der marxistischen Linken besagt, dass die Arbeit in den rechtsgerichteten Arbeitergewerkschaften zu akzeptieren ist; die Partei schreckt vor den individualistischen Positionen derjenigen zurück, die es ablehnen, auch nur einen Fuß in dieses Umfeld zu setzen und sogar so weit gehen, den Abbruch der wenigen und schwachen Streiks, zu denen sich die heutigen Gewerkschafter durchringen, theoretisch zu rechtfertigen. In vielen Regionen hat die Partei eine im revolutionären Sinn bemerkenswerte Tätigkeit hinter sich, obwohl sie stets ernsten Schwierigkeiten und gegensätzlichen, freilich zahlenmäßig überlegenen Kräften entgegenzutreten hat. Selbst dann, wenn diese Arbeit noch kein Fundament zu legen vermochte, ist es wichtig festzuhalten, dass die Position zurückzuweisen ist, wonach sich die kleine Partei auf einen geschlossene Zirkel ohne Verbindung nach außen reduziert, oder sich darauf beschränkt, in der Welt der Meinungen nach Zustimmung zu suchen – als ob die Meinungen etwas anderes als eine Überbaustruktur der ökonomischen Gegensätze wären. Genauso falsch wäre es, die Partei oder ihre lokalen Gruppierungen in abgeschlossene Sektionen zu unterteilen, die jeweils auf dem Gebiet der Theorie, der historischen Untersuchung, der Propaganda, der Agitation oder der Gewerkschaftsarbeit aktiv sind; im Geiste unserer Theorie und Geschichte sind alle Aktivitäten unlösbar miteinander verbunden und für alle und jeden Genossen unverzichtbares Tätigkeitsfeld.
     Eine weitere historische Errungenschaft der Partei, auf die sie niemals wird verzichten können, besteht darin, alle Vorschläge abzuweisen, die darauf zielen, ihre Mitgliedszahl und ihre Basis durch die Einberufung von Gründungskongressen zu vergrößern; eine solche Vorgehensweise ist zahllosen Zirkeln und Grüppchen gemeinsam, die seit dem Ende des II. Weltkrieges überall herumwimmeln und zusammenhangslose und entstellte Theorien fabrizieren, bzw. als einziges positives Merkmal die Verurteilung des russischen Stalinismus und seiner lokalen Ableger angeben.

10. Zur Geschichte der ersten Lebensjahre der KI zurückkehrend, erinnern wir daran, dass ihre russischen Führer, die nicht nur eine tiefe Kenntnis der marxistischen Lehre und Geschichte besaßen, sondern auch das großartige Ergebnis des Oktobersieges hinter sich hatten, Thesen wie die Lenin’schen als von allen anzunehmendes Material ansahen – auch wenn sie anerkannten, dass im internationalen Parteileben daran weiterzuarbeiten ist. Sie lehnten jeden Abstimmungsmechanismus ab; alles sollte der einmütigen Zustimmung unterliegen und spontane Bestätigung seitens der gesamten Organisation finden, die sich in jenen Jahren in einer Atmosphäre der Begeisterung und auch Siegesgewissheit befand.
     Die Linke teilte diese Bestrebungen voll und ganz, hielt es aber darüber hinaus für die von allen ersehnte Entwicklung für notwendig, bestimmte Maßregeln der Organisation und der Parteibildung strenger und schärfer, und ebenso alle die Taktik betreffenden Fragen im selben Sinn präziser zu fassen.
     Als sich abzeichnete, dass eine gewisse Lockerung, die wir selbst dem großen Lenin gegenüber kritisierten, auf diesem lebenswichtigen Terrain schädliche Wirkungen hervorzurufen begann, waren wir gezwungen, Bericht für Bericht und These für These einander gegenüberzustellen.
     Im Unterschied zu anderen Oppositionsgruppen (sogar jenen, die sich in Russland bildeten sowie selbst der trotskistischen Strömung) vermieden wir stets sehr sorgfältig, dass unsere Arbeit innerhalb der KI eine Form annahm, die eine demokratische Abstimmung der Basis oder eine Wahl der Führungskomitees einforderte.
     Die Linke glaubte daran, die Internationale und ihren aus starken Traditionen bestehenden lebensfähigen Kern zu retten, ohne dabei Spaltungsbewegungen zu organisieren; stets wies sie die Anschuldigung zurück, sich als Fraktion oder als Partei in der Partei zu organisieren oder dies zu beabsichtigen. Auch als die opportunistischen Tendenzen immer weniger weggeleugnet werden konnten, kam es der Linken nicht in den Sinn, individuelle Austritte aus der Partei oder der KI zu ermutigen oder gutzuheißen.
     Die oben genannten Texte zeigen dagegen an vielen Stellen, dass für die Linke der Weg, der die Wahl- und Abstimmungsverfahren über Personen oder allgemeine Leitsätze abschaffen sollte, derselbe Weg war, der auch eine weitere Spielart des politikasterhaften Demokratismus beseitigt, nämlich bestimmte Gruppen auszuschließen oder aufzulösen. Immer wieder haben wir ganz klar die These verfochten, nach der von solchen Disziplinierungsmaßnahmen nur ganz ausnahmsweise Gebrauch gemacht werden darf und sie schließlich möglichst ganz verschwinden müssen.
     Wenn, wie 1924, 1925, 1926, das Gegenteil eintritt, und diese Disziplinarfragen dann dafür herhalten müssen, nicht revolutionäre Prinzipien, sondern solche zu retten, die den bewussten oder unbewussten Positionen eines aufkommenden Opportunismus eigen sind, heißt das, dass das Zentrums seiner Aufgabe nicht gerecht wurde und es jeden wirklichen Einfluss auf die Disziplin der Basis ihm gegenüber verloren hat, und zwar umso mehr, je nachdrücklicher eine falsche disziplinarische Strenge idealisiert wird.
     In den ersten Jahren hoffte die Linke, dass sich die organisatorischen und taktischen Konzessionen mit der Fruchtbarkeit des historischen Augenblicks erklären lassen würden und nur vorübergehende Bedeutung hätten, denn in der Perspektive Lenins waren große Revolutionen in Mittel- und vielleicht Westeuropa zu erwarten, wonach wieder zur wesentlichen und den lebenswichtigen Prinzipien entsprechenden Linie zurückgekehrt würde; doch in dem Maße, wie diese Hoffnung der Gewissheit wich, dass man in den opportunistischen Untergang hineintrieb (wobei nicht ausbleiben konnte, dass er auf klassische Weise großartige Dinge in Aussicht stellen und die demokratischen Machenschaften preisen würde), verteidigte die Linke mehr denn je die revolutionären Grundsätze, ohne sich jemals auf demokratische Mechanismen zu berufen, auch nicht, als ein wirklicher Wahlschwindel offen zutage trat, der selbst an das sogenannte demokratische Wahlverfahren nur noch entfernt erinnerte. Als der Faschismus Wahlbetrug beging, konnte man das begrüßen, denn die Proletarier mussten darauf reagieren, indem sie die Herausforderung bewaffnet annahmen. Doch als die Väter des neuen Opportunismus – der dabei war, sich wieder in den Parteien und der KI breit zu machen – ihren Wahlschwindel veranstalteten, musste dies in der Praxis angeprangert werden, obwohl es in theoretischer Hinsicht nicht uninteressant war, sie ihren eigenen Demokratismus mit Füßen treten zu sehen, als sie sagten: Wir sind zehn und wollen euch, die ihr 1000 seid, in die Knie zwingen; wir waren uns nur allzu sicher, dass dieser schändlichen Laufbahn des Opportunismus mit ihrem Betrug an letztendlich Millionen von Arbeiterstimmen ein Ende gesetzt würde.

11. Eine feste und stets gleichbleibende Position der Linken ist jedoch, dass, wenn sich die Disziplinbrüche häufen und zur Regel werden, etwas in der allgemeinen Leitung der Partei nicht stimmt und die Sache untersucht zu werden verdient. Natürlich verleugnen wir uns hierbei nicht selbst und begehen die Dummheit, unser Heil in der Suche nach besseren Menschen oder auserwählten Führern zu suchen – etwas, was das opportunistische Phänomen kennzeichnet, das der historische Gegensatz des revolutionären marxistischen Weges der Linken ist.
     Eine weitere fundamentale These von Marx und Lenin, an der die Linke festgehalten hat, ist, dass ein Heilmittel gegen die historischen Krisen, von denen die proletarische Partei nicht unberührt bleiben kann, sich nicht in einer Konstitutions- oder Organisationsformel finden lässt – als ob diese die Zauberkraft hätte, sie vor der Degenerierung zu bewahren. Es ist dies eine der kleinbürgerlichen, auf Proudhon zurückgehenden Illusionen, die schlussendlich in den italienischen Ordinovismus mündeten, welcher das soziale Problem durch eine Organisationsformel für die ökonomischen Produzenten meint lösen zu können. Im Entwicklungsgang der Partei kann zweifellos der Weg der formalen Parteien – der beständig Wendungen aufweist, bergauf und bergab geht, ja sogar manchmal abbricht – dem ansteigenden Weg der historischen Partei zuwiderlaufen. Die Anstrengung besteht darin, die abgebrochene Kurve der ephemeren Parteien wieder mit dem kontinuierlichen und sanften Kurvenverlauf der historischen Partei in Übereinstimmung zu bringen. Das ist eine Grundsatzposition, aber es ist kindisch, sie in ein Organisationsrezept transformieren zu wollen. Der historischen Linie gemäß brauchen wir nicht nur die Kenntnis über die Vergangenheit und Gegenwart der Menschheit, der kapitalistischen und auch der proletarischen Klasse, sondern genauso eine präzise und sichere Kenntnis über die Zukunft der Gesellschaft; sie ist in unserer Lehre mit sicherer Hand vorgezeichnet und gipfelt in der Gesellschaft ohne Klasse und ohne Staat, die in gewisser Hinsicht wohl eine Gesellschaft auch ohne Partei sein wird, wenn man unter Partei ein gegen andere Parteien kämpfendes Organ versteht; es wird die Partei jedoch in dem Sinn geben, dass sie die Verteidigung der Gattung gegen die Gefahren der äußeren Natur und ihrer evolutionären und wahrscheinlich auch katastrophischen Prozesse organisieren wird.
     Die kommunistische Linke hat stets vertreten, dass sich ihr langer Kampf gegen die dunklen und zeitlich begrenzten Wechselfälle der formalen Parteien des Proletariats auf Positionen gestützt hat, die sich auf dem leuchtenden Weg der historischen Partei in beständiger und harmonischer Art und Weise miteinander verflechten. Die historische Partei bleibt durch die Jahre und Jahrhunderte hindurch unversehrt: Seit den ersten Aussagen der entstehenden proletarischen Lehre bis hin zur zukünftigen Gesellschaft, über die wir eine bestimmte Kenntnis besitzen, weil wir die Strukturen und Nervenknoten der heutigen, nach Geld jagenden Gesellschaft, die die Revolution umstürzen muss, erkannt haben.
     Engels Vorschlag, das alte deutsche Wort „Gemeinwesen“ anstelle des Wortes „Staat“ zu gebrauchen, steht im Zusammenhang mit Marx’ Aussage, nach der die Kommune kein Staat mehr war, eben weil sie keine demokratische Körperschaft mehr darstellte. Die theoretische Frage bedarf, nachdem Lenin sie behandelte, keiner weiteren Klarstellungen, und es widerspricht nicht der Marx’schen Aussage, wenn er feststellt, es könnte „scheinen, als wäre Marx viel mehr ‚Staatsanhänger’ als Engels“, da er besser und präziser darlegte, dass die revolutionäre Diktatur ein wirklicher, mit bewaffneten Kräften, repressiver Polizei und politischer Justiz ausgerüsteter Staat ist, und sich diese terroristisch vorgehende Justiz nicht die Hände, etwa durch rechtliche Winkelzüge, binden lässt. Die Frage bezieht sich ebenso auf das von unseren beiden Lehrern ausgesprochene Urteil über die revisionistische Idealisierung seitens der deutschen Sozialisten mit ihrer törichten Formel vom „freien Volksstaat“, die nicht nur den Gestank des bürgerlichen Demokratismus verbreitet, sondern auch den Begriff des unvermeidlichen Klassenkonflikts umkehrt, wie den der Zerstörung des historischen bürgerlichen Staates, und den auf seinen Trümmern zu errichtenden erbarmungslosen proletarischen Umstürzler-Staat, der jedenfalls keinen Anspruch auf ewige Verfassungen erhebt.
     Es ist also nicht darum gegangen, ein „Modell“ des zukünftigen Staates mit seinen konstitutionellen und konstituierenden Grundzügen zu entwerfen; das wäre genauso albern, wie im ersten von der Diktatur eroberten Land ein Modell für den Staat und die sozialistische Gesellschaft zu sehen.
     Genauso hohl, vielleicht mehr als alles andere, wäre die Vorstellung, das Modell einer perfekten Partei zu fabrizieren, eine Vorstellung die von den dekadenten Schwächen der Bourgeoisie infiziert wurde: Ohnmächtig in der Verteidigung ihrer Macht, in der Bewahrung ihres Wirtschaftssystems, das in die Brüche geht, und sogar ohnmächtig, ihr eigenes theoretisches Denken zu beherrschen, flüchtet sie in abnorme Roboter-Technologismen, um durch solch dumme, formale, automatische Modelle ihr Überleben zu sichern und vor der wissenschaftlichen Gewissheit zu fliehen, aufgrund derer wir über ihre historische Epoche und Zivilisation das Wort „Tod!“ schreiben.

12. Unter den theoretischen, sagen wir für den Moment: „philosophischen“ Ausarbeitungen, die zur Aufgabe der kommunistischen Linken und ihrer internationalen Bewegung gehören, findet sich die Entwicklung folgender These, die wir schon des Öfteren behandelt haben und, wie wir ebenfalls nachwiesen, den klassischen Positionen von Marx, Engels und Lenin folgt:
     Die bedeutendste Wahrheit, die der Mensch wird erobern können, ist die Kenntnis der zukünftigen Gesellschaft. Die „Errungenschaften“ der heutigen schäbigen, kapitalistischen und demokratischen Gesellschaft sind für dieses Bauwerk keine Voraussetzung, und die mit der bürgerlichen Revolution einhergehende angeblich positive Wissenschaft ist nicht als Vermögen der Menschheit, auf das sich zu stützen wäre, anzusehen; sie ist vielmehr eine Klassenwissenschaft, die zu zerstören und Stück für Stück zu ersetzen ist, nicht anders, wie es mit der Scholastik und den alten Religionen der vorhergehenden Produktionsweisen der Fall war. Was die Theorie der ökonomischen Transformationen angeht, die vom Kapitalismus – dessen Struktur wir recht gut kennen, während die offiziellen Ökonomen keine Ahnung von ihr haben – zum Kommunismus führen, kommen wir gleichfalls ohne die Beiträge der bürgerlichen Wissenschaft aus; und dieselbe Missachtung hegen wir gegenüber ihrer Technik und Technologie, von der nur die verblödeten opportunistischen Verräter glauben, dass sie uns die Tür zu großen Errungenschaften öffnet. Auf absolut revolutionäre Art und Weise haben wir die Wissenschaft vom Leben der Gesellschaft und ihrer Perspektive aufgebaut. Wenn dieses Werk des menschlichen Geistes vollständig sein wird (was erst nach der Niederschlagung des Kapitalismus, seiner Zivilisation, seiner Schulen, seiner Wissenschaft und seiner verbrecherischen Technologie der Fall sein kann), werden die Menschen erstmals auch die Wissenschaft und Geschichte der physischen Natur schreiben und die großen Fragen des Universums, in seinem bisher unentzifferbaren Werden, erkennen – angefangen mit der Frage, die von den mit dem kirchlichen Dogma ausgesöhnten Wissenschaftlern weiterhin mit dem Namen „Schöpfung“ belegt wird, bis hin zu den Abläufen auf unendlicher und unendlich kleiner Stufenleiter.

13. Diese und andere Fragen sind das Tätigkeitsfeld der Partei, die wir – nicht würdig, uns in die Linie der großen historischen Partei einzureihen – physisch am Leben erhalten. Doch diese sehr theoretischen Begriffe sind keine Hilfsmittel, um kleine Zänkereien und Zweifel zu lösen, die leider so lange bestehen werden, wie wir vom barbarischen Milieu der kapitalistischen Zivilisation umgebene und beherrschte Individuen sind. Solche Begriffsbestimmungen können daher nicht dazu dienen zu erklären, wie sich die Lebensform der vom Opportunismus freien Partei allmählich durchsetzen wird, was Gegenstand des organischen Zentralismus ist und nicht mit Hilfe einer „Offenbarung“ zutage tritt.
     Diese evidente marxistische These ist als Vermögen der Linken in allen gegen die Degenerierung des Moskauer Zentrums geführten Polemiken wiederzufinden. Die Partei ist gleichzeitig Faktor und Produkt des historischen Verlaufs und kann nie, ohne in einen neuen und noch kläglicheren Utopismus zurückzufallen, als ein der Situation äußerliches und abstraktes Element angesehen werden, welches das sie umgebende Milieu beherrschen könnte.
     Dass es in der Partei das Bestreben gibt, ein unerbittlich anti-bürgerliches Milieu zu schaffen, was die Charakteristiken der kommunistischen Gesellschaft weit im Voraus antizipiert, ist eine alte Aussage, z.B. der jungen italienischen Kommunisten im Jahr 1912. Nur darf man diese Zielsetzung nicht so verstehen, als sei die ideale Partei ein von unüberwindlichen Mauern umgebendes Phalanstere (2).
     In der Auffassung des organischen Zentralismus besteht die Garantie für eine intakte Partei darin, dass ihr zuverlässige und bewährte Genossen angehören; wir haben darauf gegenüber den Moskauer Zentristen stets bestanden. Wenn sie die Grundzüge ihrer Lehre, ihrer Aktion und Taktik festklopft, beharrt die Partei auf der Einzigartigkeit ihrer Methode, die unabhängig vom jeweiligen Ort und der jeweiligen Zeit ist. All denjenigen, die den hier skizzierten Grundlagen gegenüber in Verlegenheit geraten sind, steht es natürlich frei, die Reihen der Partei zu verlassen. Nicht einmal nach der Machteroberung ist eine erzwungene Mitgliedschaft denkbar; weshalb es auch außerhalb der richtigen Bedeutung des organischen Zentralismus bleibt, wenn auf disziplinarischer Ebene Druck ausgeübt wird, wobei es nicht ausbleiben kann, dass sogar das abgenutzte Vokabularium bürgerlicher Verfassungen nachgeahmt wird, wie etwa die Befugnis der Exekutive, zur Wahl stehende Formationen aufzulösen und umzubilden – alles Formen, die nicht nur für die proletarische Partei selbst, sondern sogar für den zeitlich befristeten revolutionären Staat eines siegreichen Proletariats als historisch überwunden anzusehen sind. Die Partei hat denjenigen, die ihr beitreten wollen, keine konstitutionellen und rechtlichen Plattformen der morgigen Gesellschaft zu unterbreiten, denn solche sind nur der Klassengesellschaft eigen. Wer die Partei ihren klar vorgezeichneten Weg, der durch diese der Versammlung in Neapel im Juli 1965 vorgelegten Thesen umrissen werden sollte, weitergehen sieht und noch nicht auf dieser historischen Höhe ist, weiß sehr gut, dass er jede andere Richtung einschlagen kann. In dieser Sache können wir keine andere Maßregel gebrauchen.


(1) - Modigliani, Guiseppe (1872-1947): italienischer Reformist und Abgeordneter
(2) - Phalanstere: Bezeichnung für die vom utopischen Sozialisten Charles Fourier geplanten sozialistischen Kolonien.