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Internationale Kommunistische Partei
Thesen zur historischen Aufgabe, Aktion und Struktur der kommunistische Weltpartei, gemäss den Positionen, die seit über einem halben Jahrhundert das historische vermögen der kommunistischen Linken bilden (Die Thesen von Neapel - Il programma comunista Nr. 14, 1965)
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1. Die auf die Theorie und Lehre der Partei, auf ihre Aktion in den sukzessiven
Situationen, daher auf ihr Programm, ihre Taktik und organisatorische Struktur
historisch bezogenen Fragen sind als ein einziges Ganzes zu fassen; im Verlauf
des Kampfes der Linken wurden sie viele Male systematisiert und formuliert, ohne
jemals abgeändert zu werden. Die Wiedergabe der entsprechenden Texte obliegt der
Parteipresse, hier soll es genügen, an einige Eckpfeiler zu erinnern:
2. In diesen und vielen anderen Texten, die heranzuziehen sind, werden immer
wieder bestimmte Resultate festgehalten, die wir vorgefunden haben und als das
Vermögen des revolutionären Marxismus ansehen, auf dessen klassische
programmatische Schriften, wie das Manifest und die Statuten der I.
Internationale von 1864, wir uns gestützt haben.
Nicht minder nehmen wir die programmatischen Eckpfeiler des 1. und 2. Kongresses
der 1919 gegründeten KI, wie auch die Grundsatzthesen Lenins über den
imperialistischen Krieg und der (damals noch bevorstehenden) russischen
Revolution in Anspruch. Zugleich wurde durch eine klar eingenommene Haltung die
historische und programmatische Lösung, die aus der Bewältigung der großen
Krisen resultierte, zum Vermögen der Linken; in großen Zügen finden sich darin
auch die Theorie der Konterrevolutionen und die Lehre des Kampfes gegen die
immer wieder auftauchende opportunistische Gefahr. Solche, an die unversehrte
theoretische Anschauung wie an großartige Massenkämpfe gebundene Eckpfeiler sind
z.B.:
a) Das von Marx forcierte Abdrängen der kleinbürgerlichen und anarchistischen Strömungen, die das Grundprinzip des Zentralismus und der Disziplin gegenüber dem Organisationszentrum in Frage stellten; ein für alle Mal verworfen waren damit die Autonomie lokaler Sektionen und der Föderalismus zwischen den nationalen Sektionen der Weltpartei, beides Gründe für den schändlichen
Untergang der 1889 gegründeten und im Krieg von 1914 zerbrochenen II. Internationale.
b) Die von Marx im Namen der Internationale vorgenommene Bewertung der glorreichen Erfahrung der Pariser Kommune, worin die Überwindung der parlamentarischen Methoden ebenso bekräftigt wird wie die Begeisterung, mit der die aufständische und terroristische Kraft der großen Pariser Bewegung
aufgenommen wurde.
c) Die von der Linken am Vorabend des I. Weltkrieges ausgesprochene Verurteilung nicht nur des in der ganzen Internationale auftauchenden Revisionismus und Reformismus – die darauf zielen, die Revolution gradualistisch zu verwirklichen, was bedeutet, die marxistische Auffassung vom katastrophischen Verlauf des Kapitalismus zu demontieren –, sondern auch die Reaktion darauf, die scheinbar proletarisch im Sinne des „Arbeitertümlertums“ auftrat (und völlig mit dem
Labourismus der äußersten Rechten zusammenfällt). Dieses Arbeitertümlertum geht auf den revolutionären Syndikalismus Sorels und Anderer zurück, die unter dem Vorwand, zur Gewalt der direkten Aktion zurückzukehren, die marxistische Position zur Notwendigkeit einer zentralisierten Partei und eines proletarischen, diktatorischen und terroristischen Staates verwarfen – beides
Voraussetzungen der kommunistischen Gesellschaft ohne Klassen und ohne Staat, die den weltweiten Sieg vollenden wird, und beides die einzigen Werkzeuge, die fähig sind, die Insurrektion der Klasse zum Sieg zu führen und die Revanche- und Korrumpierungsversuche der bürgerlichen Gegenoffensive zu vereiteln.
d) Die von Lenin und der internationalen Linken geleistete Kritik und schonungslose Vernichtung des niederträchtigen Verrats von 1914, dessen schlimmste und tödlichste Form weniger der Wechsel unter die patriotischen Fahnen der verschiedenen Nationalitäten als der Rückfall in (zeitgleich mit der Entstehung des marxistischen Kommunismus aufgetretenen) Positionen war, mittels
derer das Programm und die Aktion der Arbeiterklasse in den bürgerlichen Kanon, welcher die Freiheit und parlamentarische Demokratie als ewige Errungenschaften rühmt, eingliedert werden sollten.
3. Hinsichtlich der darauf folgenden Lebensphase der neuen Internationale
vermehrte sich das Vermögen der Linken durch die richtige theoretische Diagnose
und historische Vorhersicht der in den ersten Lebensjahren der KI wieder
auftretenden opportunistischen Gefahren. Dies soll, um schwerverdauliches „Theorietümlertum“
zu umgehen, mittels der historischen Methode entwickelt werden. Die ersten
opportunistischen Gefahren, vor denen die Linke früh warnte, zeigten sich in der
Taktik hinsichtlich der Beziehungen zu den alten sozialistischen Parteien der
II. Internationale, von denen die Kommunisten sich endlich organisatorisch
abgespalten hatten, und folglich auch in falschen Maßregeln auf dem Gebiet der
Organisationsstruktur.
Schon 1921 konnte man das Abebben der großen revolutionären Welle nach dem
Kriegsende von 1918 und die Gegenoffensive, die der Kapitalismus sowohl auf
ökonomischem als auch politischem Gebiet starten würde, vorhersehen; auf dem 3.
Kongress der KI im Juni 1921 war richtig festgestellt worden, dass es nicht
ausreicht, kommunistische, streng dem Programm der militanten Aktion, der
proletarischen Diktatur und dem kommunistischen Staat verpflichtete Parteien
gebildet zu haben, solange ein großer Teil der proletarischen Massen den
Einflüssen der opportunistischen Parteien verhaftet bleibt. Wir alle sahen in
jenen Parteien, an deren Händen das Blut von Karl und Rosa klebte, die
schlimmsten Werkzeuge der Konterrevolution. Die Linke akzeptierte aber nicht
jene Formulierung, nach der die Eroberung der proletarischen „Mehrheit“ (wobei
nie klar gestellt wurde, ob das wirkliche Lohnarbeiterproletariat oder das
„Volk“, einschließlich der bäuerlichen Grundeigentümer, Zwergkapitalisten,
Handwerker und aller übrigen Kleinbürger, gemeint war) zur Vorbedingung der
revolutionären Aktion wurde. Diese Formel der „Mehrheit“ mit ihrem
demokratisch-üblen Geruch war ein erstes Alarmzeichen und ließ befürchten, was
historisch leider auch eintrat, nämlich dass der Opportunismus,
hereingeschmuggelt unter der Fahne der Ehrerbietung gegenüber den verheerenden
Begriffen von Demokratie und Stimmenzählerei, erneut sein Haupt erhob.
Seit dem 4. Kongress, Ende 1922, wiesen die pessimistische Voraussicht und der
mutige Kampf der Linken weiterhin auf gefährliche taktische Schritte
(Einheitsfront zwischen kommunistischen und sozialistischen Parteien, die Losung
der „Arbeiterregierung“) und organisatorische Fehler hin (die kommunistischen
Parteien sollten nicht nur durch den Zulauf von Proletariern vergrößert werden,
die aus den anderen Parteien sozialdemokratischer Praxis und Struktur austreten
würden, sondern die zahlenmäßige Verstärkung sollte auch durch Verschmelzungen
erreicht werden, was hieß, ganze Parteien oder Teile davon sollten nach direkten
Verhandlungen mit deren Führungsstäben der Komintern beitreten können, ebenso
wie sogenannte „sympathisierende“ Parteien als nationale Sektionen in die
Komintern aufgenommen werden sollten – was ein offenkundiger Rückfall in die
föderalistische Konzeption war). Die Erstarkung der opportunistischen Gefahr
wurde von der Linken noch in einer dritten Hinsicht, und in den folgenden Jahren
immer eindringlicher, aufgezeigt: Es handelte sich hierbei um den Umgang
innerhalb der KI, bei dem das durch die Exekutive repräsentierte Zentrum gegen
Parteien (oder auch nur Teile davon) vorging, die zu Recht oder Unrecht
politischer Irrtümer bezichtigt wurden: Methoden nicht nur des „ideologischen
Terrors“, sondern vor allem des organisatorischen Drucks, etwas, was sehr bald
eine falsche Anwendung und allmählich eine totale Verfälschung der richtigen
Prinzipien der Zentralisierung und innerparteilichen Disziplin zur Folge hatte.
Diese Methoden verschärften sich überall, besonders aber in Italien nach 1923
(wo die Linke, mit der ganzen Partei hinter sich, sich in Sachen Disziplin
beispielhaft verhielt, indem sie die Führungsaufgaben an die von Moskau
eingesetzten rechten und zentristischen Genossen weiterleitete), insofern das
Gespenst des „Fraktionismus“ schwerwiegend missbraucht wurde, genauso wie die
ständige Drohung, eine künstlich der Spaltungsabsichten beschuldigte Strömung
aus der Partei auszuschließen; alles was erreicht wurde, war, dass die
gefährlichen zentristischen Fehler in der Politik der Partei die Oberhand
gewannen. Dieser dritte lebenswichtige Punkt wurde auf den internationalen
Kongressen und in Italien eingehend diskutiert: Er ist nicht minder wichtig wie
die Verurteilung der opportunistischen Taktiken und der organisatorischen
Formeln föderalistischen Typs. Während z.B. die Parteiführung der Linken der
Jahre 1921-22 eines diktatorischen innerparteilichen Regimes bezichtigt wurde,
hielt sich die zentristische Führung (die oftmals gezeigt hatte, mit der Linken
völlig übereinzustimmen) daran, das ganze Spektrum der Anweisungen aus Moskau zu
befolgen, wobei sie sich sogar traute, den Ausdruck der „Internationalen
Kommunistischen Partei“ zu benutzen; so auch Palmiro Togliatti, wahrer Meister
bei der Liquidation der Kommunistischen Internationale, 1925 bei einer Polemik
vor dem Parteitag von Lyon.
4. Es war leicht, der Linken, die auf die Vorboten einer tödlichen Krise
hinwies, vorzuhalten, sich einzig um theoretische Abweichungen zu sorgen; eben
darum ist es nützlich zu zeigen, dass sich die Kritikpunkte und Diagnosen
historisch bestätigt haben.
Was die taktische Frage betrifft, reicht es, daran zu erinnern, dass die
Einheitsfront mit der Absicht vorgeschlagen wurde, die sozialistischen Parteien
zu „zerschlagen“ und die deren Führern und Generalstäben noch folgenden Massen
zu uns herüberzuziehen. Die Anwendung dieser Taktik hat die ihrer impliziten
Gefahr belegt, nämlich in den Verrat und zur Aufgabe der revolutionären
Klassengrundlagen unseres Programms zu führen. Die historischen Folgen der
Einheitsfront von 1922 liegen heute offen zutage: Es sind die zur Unterstützung
des II. Weltkrieges des demokratischen Kapitalismus geschaffenen Volksfronten
und die antifaschistischen „Befreiungsfronten“; beide führten zur offenen
Klassenkollaboration, denn sie schlossen sehr bald auch erklärtermaßen
bürgerliche Parteien ein; das Ganze kulminiert in der monströsen Entstehung der
letzten opportunistischen Welle auf den Trümmern der III. Internationale. Die
mit den Verschmelzungen von 1922 einsetzenden organisatorischen Manöver haben
die Basis einer totalen Verwirrung gelegt, die heute in der parlamentarischen
und demokratischen Ausrichtung aller Parteien zum Ausdruck kommt, die
„kommunistischen“ Parteien nicht ausgenommen, die so die parlamentarischen
Thesen Lenins vom 2. Kongress in Stücke rissen. Seit dem 20. Kongress der KPdSU
1956, auf dem die weltumspannende Organisationseinheit auch formell beerdigt
wurde, um verschiedene sozialistische und Arbeiterparteien und in dem einen oder
anderen Land sogar Volksparteien zuzulassen, ist das eingetroffen, was die Linke
vorausgesehen hatte, nämlich auch das Programm der proletarischen Diktatur zu
verwerfen, indem man es als ein rein russisches Phänomen bezeichnete und
„nationale“ sowie demokratische Wege zum Sozialismus einführte – was nichts
anderes als den Rückfall in eben denselben Opportunismus von 1914 bedeutet, nur
noch schlimmer und niederträchtiger, da man dies im Namen Lenins durchgeführt zu
haben vorgibt.
Während 1926 die Zentristen heuchlerisch „ein wenig mehr Demokratie innerhalb
der Partei und der Internationale“ verlangten (was von der Linken, die ihre
Opposition aufrechterhielt, obwohl sie bis dahin weder mit dem Austritt aus der
KI noch mit der Spaltung der Partei gedroht hatte, richtigerweise zurückgewiesen
wurde), wurde die von uns kritisierte Arbeitsweise der III. Internationale und
des von oben ausgeübten Drucks schließlich historisch im fürchterlichen
stalinistischen Terror bestätigt. Die Staatsgewalt wurde eingesetzt, um die
Partei von innen heraus zu zerstören, d.h. mittels Tausender von Ermordeten
einen Widerstand zu brechen, der im Namen der Rückkehr zum revolutionären
Marxismus und zu den großen leninistischen und bolschewistischen Traditionen
geleistet wurde. All diese Positionen besaßen eine richtige Voraussicht des
zukünftigen Verlaufs der Ereignisse, auch wenn die Kräfteverhältnisse leider so
waren, dass die dritte opportunistische Welle alles mit sich fortreißen konnte.
Die Linke wies rechtzeitig auf die einzuschlagenden Wege in den Beziehungen
zwischen den Parteien und der KI sowie zwischen der russischen Partei und dem
russischen Staat hin. Historisch hängt die Verkehrung dieser Positionen engstens
mit der Frage der Beziehung zwischen der russischen Staatspolitik und der
proletarischen Politik in den anderen Ländern zusammen. Als unter Stalin, der im
Herbst 1926 im EKKI alle seine Karten auf den Tisch legte, erklärt wurde, dass
der russische Staat die Vorstellung aufgebe, seine Zukunft von einem allgemeinen
Klassenzusammenstoß, der die Macht des Kapitals in allen anderen Ländern stürzen
würde, abhängig zu machen, und Stalin hinsichtlich der russischen Wirtschaft
kundtat, sich dem „Aufbau des Sozialismus“ zuzuwenden (eine Sache, die in der
Sprache Lenins nichts anderes bedeutete, als den Kapitalismus aufzubauen), war
der weitere Verlauf bereits vorgezeichnet: Er trat im blutigen Konflikt zutage,
in dem die Opposition ausgerottet wurde; zu spät hatte sie sich in Russland
erhoben und war im gleichen Augenblick unter der schmutzigen Anschuldigung des
Fraktionismus zertreten worden.
Diese ganze Sache steht im Zusammenhang mit dem heiklen Problem, das sich –
nachdem allen Parteien im Namen eines angeblichen, jedoch trügerischen
Zentralismus der berühmte „Apparat“ aufgedrückt worden war – weniger an der
Suggestivkraft entschied, die solch große Namen wie Bolschewismus, Lenin,
Oktober hervorriefen als an der banalen ökonomischen Tatsache, dass der Moskauer
Staat über die Mittel verfügte, mit denen die Funktionäre bezahlt wurden. Die
Linke schwieg heldenhaft gegenüber dieser Schande, denn sie wusste um die
andere, schreckliche Gefahr der kleinbürgerlichen und anarchistischen
Verdrehung, welche schon auf der Lauer lag: „Seht ihr, letzten Endes ist es doch
immer dasselbe: Wo es einen Staat, wo es Macht und eine Partei gibt, ebendort
gibt es auch Korruption. Wenn das Proletariat sich emanzipieren will, muss es
dies ohne autoritäre Parteien und Staaten bewerkstelligen!“ Wir wussten nur zu
gut, dass, wenn es auf der einen Seite seit 1926 die Linie Stalins war, den Sieg
dem bürgerlichen Feind auszuliefern, auf der anderen solche intellektuelloiden
Mittelklasse-Abweichungen (und jetzt schon ein ganzes Jahrhundert lang) die
beste Garantie für das Überleben des niemals satten Kapitalismus boten, denn sie
entrissen den Händen seiner Totengräber die einzige Waffe, die ihn niederringen
kann.
Zu dieser schäbigen Macht des Geldes, das (nach einer Kette von Maßnahmen, von
denen die Durchsetzung der kommunistischen Diktatur nur das erste ist) in der
kommunistischen Gesellschaft verschwunden sein wird, kam noch die Handhabung
einer Waffe, die wir deutlich als der Parlamente, der bürgerlichen Diplomatie
oder der extrem bürgerlichen Völkergemeinschaft würdig erklärten: Nämlich das
Mittel der Beförderung bzw. Verunglimpfung, je nach dem Karrierestreben und den
eitlen Ambitionen der die Reihen der Regierungsparteien bevölkernden
Führungskader, sodass jeder unvermeidbar vor der Alternative stand, entweder
sofort und ohne große Anstrengung allgemeine Anerkennung zu ernten, nachdem man
die Thesen der allmächtigen Zentrale gesenkten Hauptes angenommen hatte, oder
ins Dunkel und vielleicht sogar Elend zu versinken, wenn man die richtigen
revolutionären Thesen, die die Zentrale hatte fallen lassen, verteidigen wollte.
Aufgrund der historischen Evidenz steht heute außer Frage, dass sich die
internationalen und die nationalen Zentralen auf dem abweichenden und in den
Verrat führenden Weg befanden; für die immer gleiche Theorie der Linken ergibt
sich daraus, ihnen jedes Recht abzusprechen, im Namen einer heuchlerischen
Disziplin blinden Gehorsam der Basis erwarten zu können.
5. Nach dem Ende des II. Weltkrieges fand die Arbeit zur Wiedererrichtung der
Klassenpartei überall eine extrem schwierige Lage vor. Die internationalen und
gesellschaftlichen Entwicklungen und Umstände dieser entsetzlichen
Geschichtsperiode hatten das opportunistische Vorhaben begünstigt, nämlich alle
Linien des Klassenkampfes auszulöschen und dem geblendeten Proletariat die
Notwendigkeit einzubläuen, die Wiedereinführung der
parlamentarisch-demokratischen Verfassungen auf dem ganzen Globus zu
unterstützen.
Dieser erbarmungslosen Situation des Gegen-den-Strom-Schwimmens, die dadurch
verschärft wurde, dass sich breite Arbeitermassen in die Praktik der
Stimmenabgabe stürzten – das falsche Revolutionäre noch schamloser
apologisierten als es die Revisionisten ein halbes Jahrhundert zuvor hätten tun
können –, dieser Situation konnte unsere Bewegung nur entgegentreten, indem sie
sich auf das gesamte Vermögen stützte, das aus der langen und schweren
historischen Wechselfolge hervorgegangen war. Der alten Instruktion (dem „Faden
der Zeit“) folgend, wandte sich unsere Bewegung der Aufgabe zu, dem Proletariat
die im langen Verlauf des schmerzhaften Rückzugs eingebrannte Bedeutung der
historischen Ergebnisse wieder vor Augen zu führen. Es ging nicht darum, diese
Ergebnisse als eine Art Bildungswissen oder als Propagandalehren unters Volk zu
bringen, sondern aufzuzeigen, dass Theorie und Aktion dialektisch unlösbar
miteinander verknüpft sind und dass die Lehren nicht Bücherweisheiten oder
Professorengelehrtheit darstellen, sondern sich vielmehr aus dynamischen
Bilanzen (um das heutzutage den Philistern zur Beute gewordene Wort „Erfahrung“
zu umgehen) von Zusammenstößen ableiten, die zwischen realen Kräften von
beträchtlicher Größe und Ausdehnung stattgefunden haben, wobei die Fälle, bei
denen die Bilanz schließlich in einer Niederlage der revolutionären Kräfte
mündete, nicht minder wichtig waren. Das ist das, was wir nach dem klassischen
marxistischen Kriterium „die Lehren der Konterrevolution“ genannt haben.
6. Andere Schwierigkeiten, die Geschehnisse anhand der unserer Bewegung eigenen
Grundlagen einzuordnen, beruhten auf zu optimistischen Perspektiven: Wie das
Ende des I. Weltkrieges eine große revolutionäre Welle und, durch das Handeln
der Bolschewiki, durch Lenin, durch den russischen Sieg, die Verurteilung der
opportunistischen Seuche herbeigeführt habe, so würde das Ende des II.
Weltkrieges historisch ähnliche Phänomene hervorrufen und die rasche
Wiedererrichtung einer sich auf die großen Traditionen berufenden revolutionären
Partei ermöglichen. So großherzig diese Perspektive auch sein mochte, so
schwerwiegend irrte man sich, da das „Bedürfnis nach Demokratie“, das dem
Proletariat eingeflößt worden war, unterschätzt wurde. Ein Bedürfnis, das
weniger durch das grausame Vorgehen des italienischen und deutschen Faschismus
als durch den verheerenden Rückfall in die Illusion geweckt worden war, dass
nach Wiedereroberung der Demokratie alles ganz natürlich wieder auf den
revolutionären Weg zurückführen würde. Zum Hauptvermögen der Linken gehört indes
das Bewusstsein, dass die größte Gefahr in den volkstümlichen und
sozialdemokratischen Illusionen lauert, die nicht etwa Basis einer neuen, den
Schritt von Kerenski zu Lenin machenden Revolution, sondern Grundlage des
Opportunismus sind – der mächtigsten konterrevolutionären Kraft.
Für die Linke ist der Opportunismus kein der Moral oder Verderbtheit Einzelner
geschuldetes Phänomen, sondern eine gesellschaftliche und historische
Erscheinung, aufgrund derer die proletarische Avantgarde einer politischen
Vereinigung zwischen Proletariat und Mittelklassen den Weg ebnet, statt sich auf
das Kräftemessen vorzubereiten, bei dem sie gegen die reaktionäre Front der
Bourgeoisie und die noch konservativere kleinbürgerliche Schicht antreten wird.
In dieser Hinsicht unterscheidet sich das Phänomen des Opportunismus nicht von
dem des Faschismus, denn in beiden Fällen handelt es sich um die Versklavung an
kleinbürgerliche Schichten, zu denen auch die sogenannten Intellektuellen und
die sogenannten politischen bzw. bürokratisch-technokratischen Klassen zählen.
In Wirklichkeit sind es historisch nicht-lebensfähige Klassen und
verachtenswerte, marginale und kriecherische Schichten, in denen sich eher als
Klassendeserteure (wie Marx die bürgerlichen Individuen nannte, die zur
revolutionären Klasse überlaufen) die treuesten Knechte der kapitalistischen
Konservation finden. Die Nachkriegsbewegung schien sogar in die Illusion
zurückzufallen, in den Parlamenten etwas zu erreichen, mag dies auch nur dem
frommen Wunsch entsprungen sein, den Lenin’schen Thesen wieder Leben
einzuhauchen; nicht in Betracht gezogen wurde jedoch die historische Bilanz, die
unwiderruflich nachgewiesen hatte, dass diese Taktik – so edel und großartig sie
1920 gewesen sein mag, als die Geschichte um ein Gleichgewicht der Kräfte zu
schwanken schien – nicht die Perspektive eines revolutionären Angriffs eröffnen
konnte, der darauf zielte, die Parlamente von innen heraus zu sprengen; indes
wurde alles auf eine triviale Revanche gegen den Faschismus reduziert, wie etwa
mit dem Ausruf Modiglianis „Viva il parlamento!“ (1).
7. Insofern es sich um einen Übergang und eine historische Weitergabe der
Lehren von einer Generation, die die glorreichen Kämpfe der ersten
Nachkriegszeit und die Spaltung von Livorno erlebt hatte, an eine neue
proletarische Generation handelte, die es von der tumben Glückseligkeit über den
Sturz des Faschismus frei zu machen galt, um ihr die selbständige Aktion der
revolutionären Partei gegen alle anderen – vor allem gegen die
sozialdemokratische Partei – wieder ins Bewusstsein zu bringen, damit der
Perspektive der proletarischen Diktatur und dem proletarischen Terror geweihte
Kräfte wieder aufgebaut werden konnten, konnte die neue Bewegung organisch und
spontan den Arbeitsplan ihrer, bereits einer 50jährigen Bewährungsprobe
ausgesetzten Aktivität aufstellen. Die Partei verfolgte eine Zielsetzung, die in
der kommunistischen Linken seit der Zeit der II. Internationale und dann während
des historischen Kampfes gegen die opportunistischen Gefahren in der III.
bestanden hatten. Dieses seit hundert Jahren verfolgte Ziel besteht im Kampf
gegen die Demokratie, gegen jede Einflussnahme dieses bürgerlichen Mythos, und
es hat seinen Ursprung in der marxistischen Kritik, in den Grundlagentexten und
in den ersten Dokumenten der proletarischen Organisationen, angefangen mit dem
„Kommunistischen Manifest“.
Wenn die Geschichte sich mitnichten durch den Einfluss besonderer Individuen
erklären lässt, die sich durch physische Stärke oder auch intellektuelle und
moralische Qualitäten auszeichnen konnten; wenn der politische Kampf
fälschlicherweise so aufgefasst wird, dass er sich auf besondere und
„auserwählte“ Personen stützt (gleich ob durch Gottesgnadentum, oder durch
Eliten oder – in der von allen Formen uns feindlichsten – durch Urnengänge
auserwählt), was unserer Sicht der Dinge diametral entgegensteht; und wenn sich
(indem die ökonomischen Verhältnisse aufgedeckt werden, die innerhalb der
verschiedenen Produktionsweisen zwischen den Klassen bestehen) an den nicht mehr
kritischen, sondern gewaltsamen und bewaffneten Schlachten ablesen lässt, dass
die Geschichte eine Geschichte von Klassenkämpfen ist; und wenn dann dieses
fundamentale Theorem durch das von unzähligen Kämpfern vergossene Blut bestätigt
wurde, und die demokratische Mystifikation es schaffte, die großherzigen
Anstrengungen zunichte zu machen; und wenn schließlich das Vermögen der
kommunistischen Linken auf dieser Bilanz der Unterdrückung, der Ausbeutung und
des Verrats errichtet worden war – dann musste der Weg der sein, sich immer mehr
vom tödlichen demokratischen Mechanismus zu befreien (nicht nur in der
Gesellschaft und ihren verschiedenen Körperschaften, sondern in der
revolutionären Klasse selbst und vor allem in ihrer politischen Partei). Seitdem
die Linke gegen die Wahlblöcke und den Einfluss der Freimaurer-Ideologien
kämpfte; seitdem sie dagegen kämpfte, das Proletariat zuerst in die
Kolonialkriege und dann in den ungeheuren I. Weltkrieg hetzen zu lassen, der
(vor allem, weil das Gespenst von Freiheit und Demokratie seine Wirkung nicht
verfehlte) über die proletarische Zielsetzung triumphierte zu desertieren und
die Waffen gegen die zu drehen, die es sie hatte ergreifen lassen; seitdem sie
sich schließlich in allen Ländern Europas und unter Führung des revolutionären
russischen Proletariats in den Kampf stürzte, um den direkten Feind und die
Zielscheibe zu treffen, unter der sich das Herz der kapitalistischen Bourgeoisie
befand, nämlich die rechte Sozialdemokratie und das noch niederträchtigere
Zentrum der SPI, welches (indem es uns verleumdete, wie es den Bolschewismus,
den Leninismus und die sowjetische Diktatur verleumdet hatte) alle Register zog,
um wieder eine Brücke (in Wahrheit eine Falle) zwischen dem proletarischen
Vormarsch und dem kriminellen demokratischen Ideal zu schlagen – seit all dem
hat dieses Ziel der Linken, das sich nicht auf eine wunderbare Intuition oder
eine rationale „Aufklärung“ von Denkern zurückführen lässt, sondern mit den
Ergebnissen einer Reihe realer, gewaltsamer, blutiger und erbarmungsloser Kämpfe
(auch wenn sie mit einer Niederlage der revolutionären Kräfte geendet haben)
engstens verzahnt ist, in all diesen Kämpfen seine Spuren hinterlassen. Diese
Zielsetzung, sich von jedem Einfluss, sei es auch nur des Wortes „Demokratie“
loszumachen, findet sich so auch in den zahllosen Texten der Linken, die wir
anfangs kurz anführten, wieder.
8. Überzeugt von der historischen Größe, Strenge und Dauer der eigenen Arbeit
konnte die neue Bewegung keine zweifelhaften, nach schneller Karriere
trachtenden Elemente anziehen, denn sie versprach keine kurzfristigen Erfolge,
schloss diese vielmehr aus. Der Plan ihrer Arbeit, deren Struktur, machte das
häufige Zusammentreffen mit Delegierten aller organisierten Orts- und
Bezirksgruppen notwendig: dabei wurden keine Debatten, Widersprüche und
Polemiken zwischen gegensätzlichen Thesen unterbreitet (was immerhin infolge der
Nostalgie der antifaschistischen Krankheit sporadisch hätte auftauchen können),
und es gab nichts, worüber hätte abgestimmt und beschlossen werden sollen; es
gab nur die organische Kontinuität der ernsten Arbeit, die die fruchtbaren
Lektionen der Vergangenheit an die gegenwärtigen und zukünftigen Generationen zu
übergeben hat, an die neuen Avantgarden, die aus den zehn- und hundertmal
betrogenen und enttäuschten Massen hervorgehen, und sich endlich gegen das mit
Schmerzen verbundene Phänomen der eitrigen Verwesung der kapitalistischen
Gesellschaft erheben werden. Am eigenen Leib werden sie deren extreme und
giftigste Form zu spüren bekommen, nämlich die Heere der sich auf das Volk
berufenden Opportunisten, der Technokraten der großen Gewerkschaften und
Parteien, und die Scharen lächerlicher auserwählter Gruppen von Intellektuellen
und Künstlern, die sich „verpflichtet“ oder „engagiert“ haben, um sich mit ihren
niedrigen Aktivitäten ein paar Brötchen zu verdienen; dafür unterwerfen sie sich
der Botmäßigkeit der reichen Klassen, und schmeicheln dem bürgerlichen und
kapitalistischem Gemüt, das den mittleren, sich als Volk gebärdenden Klassen
eigen ist.
Unsere Arbeit, bzw. diese Dynamik, folgt der klassischen Lehrmethode von Marx
und Lenin, die die revolutionären historischen Wahrheiten in Thesenform
darstellten; und diese, sich in ihren Entwürfen an die großen marxistischen
Überlieferungen haltenden Thesen und Berichte werden durch die Delegierten (auch
dank unserer Presse) in alle Zusammenkünfte der Orts- und Bezirksgruppen
zurückgetragen, wodurch das gesamte historische Material in der ganzen Partei
verbreitet wird. Der Einwand, es handele sich um vollkommene, unwiderrufliche
und unveränderliche Texte, würde keinen Sinn machen, denn wir haben all die
Jahre hindurch erklärt, dass es sich um Materialien handelt, an denen ständig
gearbeitet werden muss, und deren Form immer besser und vollständiger werden
soll; so dass aus allen Reihen der Partei, auch von ganz jungen Mitgliedern,
immer häufiger Beiträge geliefert wurden, die bewundernswert sind und vollkommen
mit den klassischen Linien übereinstimmen.
Nur durch die Entwicklung der Arbeit in diese Richtung erwarten wir die
quantitative Erweiterung unserer Reihen und spontanen Zulauf zur Partei – was
eines Tages eine größere soziale Kraft aus ihr machen wird.
9. Bevor wir das Thema der Formierung der Partei nach dem II. Weltkrieg
abschließen, sollen noch einige, heute als charakteristische Merkmale der Partei
geltende Resultate genannt werden; ungeachtet des geringen quantitativen Umfangs
der Bewegung sind es de facto historische Resultate, die nicht durch
entbehrliche Genies oder feierliche Resolutionen „souveräner“ Kongresse
vernebelt wurden.
Sehr schnell erkannte die Partei, dass – auch in einer extrem schwierigen und
äußerst unfruchtbaren Situation – eine Sichtweise abzuwehren ist, nach der die
Strömung als bloß im propagandistischen und agitatorischen Sinn aktiv aufgefasst
wird. Im Parteileben muss überall, jederzeit und ausnahmslos die dauernde
Anstrengung aufgebracht werden, in das Leben der Massen, in ihre unmittelbaren
Tagesforderungen, die unter dem Einfluss uns entgegengesetzter Direktiven
stehen, zu intervenieren. Eine alte These der marxistischen Linken besagt, dass
die Arbeit in den rechtsgerichteten Arbeitergewerkschaften zu akzeptieren ist;
die Partei schreckt vor den individualistischen Positionen derjenigen zurück,
die es ablehnen, auch nur einen Fuß in dieses Umfeld zu setzen und sogar so weit
gehen, den Abbruch der wenigen und schwachen Streiks, zu denen sich die heutigen
Gewerkschafter durchringen, theoretisch zu rechtfertigen. In vielen Regionen hat
die Partei eine im revolutionären Sinn bemerkenswerte Tätigkeit hinter sich,
obwohl sie stets ernsten Schwierigkeiten und gegensätzlichen, freilich
zahlenmäßig überlegenen Kräften entgegenzutreten hat. Selbst dann, wenn diese
Arbeit noch kein Fundament zu legen vermochte, ist es wichtig festzuhalten, dass
die Position zurückzuweisen ist, wonach sich die kleine Partei auf einen
geschlossene Zirkel ohne Verbindung nach außen reduziert, oder sich darauf
beschränkt, in der Welt der Meinungen nach Zustimmung zu suchen – als ob die
Meinungen etwas anderes als eine Überbaustruktur der ökonomischen Gegensätze
wären. Genauso falsch wäre es, die Partei oder ihre lokalen Gruppierungen in
abgeschlossene Sektionen zu unterteilen, die jeweils auf dem Gebiet der Theorie,
der historischen Untersuchung, der Propaganda, der Agitation oder der
Gewerkschaftsarbeit aktiv sind; im Geiste unserer Theorie und Geschichte sind
alle Aktivitäten unlösbar miteinander verbunden und für alle und jeden Genossen
unverzichtbares Tätigkeitsfeld.
Eine weitere historische Errungenschaft der Partei, auf die sie niemals wird
verzichten können, besteht darin, alle Vorschläge abzuweisen, die darauf zielen,
ihre Mitgliedszahl und ihre Basis durch die Einberufung von Gründungskongressen
zu vergrößern; eine solche Vorgehensweise ist zahllosen Zirkeln und Grüppchen
gemeinsam, die seit dem Ende des II. Weltkrieges überall herumwimmeln und
zusammenhangslose und entstellte Theorien fabrizieren, bzw. als einziges
positives Merkmal die Verurteilung des russischen Stalinismus und seiner lokalen
Ableger angeben.
10. Zur Geschichte der ersten Lebensjahre der KI zurückkehrend, erinnern wir
daran, dass ihre russischen Führer, die nicht nur eine tiefe Kenntnis der
marxistischen Lehre und Geschichte besaßen, sondern auch das großartige Ergebnis
des Oktobersieges hinter sich hatten, Thesen wie die Lenin’schen als von allen
anzunehmendes Material ansahen – auch wenn sie anerkannten, dass im
internationalen Parteileben daran weiterzuarbeiten ist. Sie lehnten jeden
Abstimmungsmechanismus ab; alles sollte der einmütigen Zustimmung unterliegen
und spontane Bestätigung seitens der gesamten Organisation finden, die sich in
jenen Jahren in einer Atmosphäre der Begeisterung und auch Siegesgewissheit
befand.
Die Linke teilte diese Bestrebungen voll und ganz, hielt es aber darüber hinaus
für die von allen ersehnte Entwicklung für notwendig, bestimmte Maßregeln der
Organisation und der Parteibildung strenger und schärfer, und ebenso alle die
Taktik betreffenden Fragen im selben Sinn präziser zu fassen.
Als sich abzeichnete, dass eine gewisse Lockerung, die wir selbst dem großen
Lenin gegenüber kritisierten, auf diesem lebenswichtigen Terrain schädliche
Wirkungen hervorzurufen begann, waren wir gezwungen, Bericht für Bericht und
These für These einander gegenüberzustellen.
Im Unterschied zu anderen Oppositionsgruppen (sogar jenen, die sich in Russland
bildeten sowie selbst der trotskistischen Strömung) vermieden wir stets sehr
sorgfältig, dass unsere Arbeit innerhalb der KI eine Form annahm, die eine
demokratische Abstimmung der Basis oder eine Wahl der Führungskomitees
einforderte.
Die Linke glaubte daran, die Internationale und ihren aus starken Traditionen
bestehenden lebensfähigen Kern zu retten, ohne dabei Spaltungsbewegungen zu
organisieren; stets wies sie die Anschuldigung zurück, sich als Fraktion oder
als Partei in der Partei zu organisieren oder dies zu beabsichtigen. Auch als
die opportunistischen Tendenzen immer weniger weggeleugnet werden konnten, kam
es der Linken nicht in den Sinn, individuelle Austritte aus der Partei oder der
KI zu ermutigen oder gutzuheißen.
Die oben genannten Texte zeigen dagegen an vielen Stellen, dass für die Linke
der Weg, der die Wahl- und Abstimmungsverfahren über Personen oder allgemeine
Leitsätze abschaffen sollte, derselbe Weg war, der auch eine weitere Spielart
des politikasterhaften Demokratismus beseitigt, nämlich bestimmte Gruppen
auszuschließen oder aufzulösen. Immer wieder haben wir ganz klar die These
verfochten, nach der von solchen Disziplinierungsmaßnahmen nur ganz
ausnahmsweise Gebrauch gemacht werden darf und sie schließlich möglichst ganz
verschwinden müssen.
Wenn, wie 1924, 1925, 1926, das Gegenteil eintritt, und diese Disziplinarfragen
dann dafür herhalten müssen, nicht revolutionäre Prinzipien, sondern solche zu
retten, die den bewussten oder unbewussten Positionen eines aufkommenden
Opportunismus eigen sind, heißt das, dass das Zentrums seiner Aufgabe nicht
gerecht wurde und es jeden wirklichen Einfluss auf die Disziplin der Basis ihm
gegenüber verloren hat, und zwar umso mehr, je nachdrücklicher eine falsche
disziplinarische Strenge idealisiert wird.
In den ersten Jahren hoffte die Linke, dass sich die organisatorischen und
taktischen Konzessionen mit der Fruchtbarkeit des historischen Augenblicks
erklären lassen würden und nur vorübergehende Bedeutung hätten, denn in der
Perspektive Lenins waren große Revolutionen in Mittel- und vielleicht Westeuropa
zu erwarten, wonach wieder zur wesentlichen und den lebenswichtigen Prinzipien
entsprechenden Linie zurückgekehrt würde; doch in dem Maße, wie diese Hoffnung
der Gewissheit wich, dass man in den opportunistischen Untergang hineintrieb
(wobei nicht ausbleiben konnte, dass er auf klassische Weise großartige Dinge in
Aussicht stellen und die demokratischen Machenschaften preisen würde),
verteidigte die Linke mehr denn je die revolutionären Grundsätze, ohne sich
jemals auf demokratische Mechanismen zu berufen, auch nicht, als ein wirklicher
Wahlschwindel offen zutage trat, der selbst an das sogenannte demokratische
Wahlverfahren nur noch entfernt erinnerte. Als der Faschismus Wahlbetrug beging,
konnte man das begrüßen, denn die Proletarier mussten darauf reagieren, indem
sie die Herausforderung bewaffnet annahmen. Doch als die Väter des neuen
Opportunismus – der dabei war, sich wieder in den Parteien und der KI breit zu
machen – ihren Wahlschwindel veranstalteten, musste dies in der Praxis
angeprangert werden, obwohl es in theoretischer Hinsicht nicht uninteressant
war, sie ihren eigenen Demokratismus mit Füßen treten zu sehen, als sie sagten:
Wir sind zehn und wollen euch, die ihr 1000 seid, in die Knie zwingen; wir waren
uns nur allzu sicher, dass dieser schändlichen Laufbahn des Opportunismus mit
ihrem Betrug an letztendlich Millionen von Arbeiterstimmen ein Ende gesetzt
würde.
11. Eine feste und stets gleichbleibende Position der Linken ist jedoch, dass,
wenn sich die Disziplinbrüche häufen und zur Regel werden, etwas in der
allgemeinen Leitung der Partei nicht stimmt und die Sache untersucht zu werden
verdient. Natürlich verleugnen wir uns hierbei nicht selbst und begehen die
Dummheit, unser Heil in der Suche nach besseren Menschen oder auserwählten
Führern zu suchen – etwas, was das opportunistische Phänomen kennzeichnet, das
der historische Gegensatz des revolutionären marxistischen Weges der Linken ist.
Eine weitere fundamentale These von Marx und Lenin, an der die Linke
festgehalten hat, ist, dass ein Heilmittel gegen die historischen Krisen, von
denen die proletarische Partei nicht unberührt bleiben kann, sich nicht in einer
Konstitutions- oder Organisationsformel finden lässt – als ob diese die
Zauberkraft hätte, sie vor der Degenerierung zu bewahren. Es ist dies eine der
kleinbürgerlichen, auf Proudhon zurückgehenden Illusionen, die schlussendlich in
den italienischen Ordinovismus mündeten, welcher das soziale Problem durch eine
Organisationsformel für die ökonomischen Produzenten meint lösen zu können. Im
Entwicklungsgang der Partei kann zweifellos der Weg der formalen Parteien – der
beständig Wendungen aufweist, bergauf und bergab geht, ja sogar manchmal
abbricht – dem ansteigenden Weg der historischen Partei zuwiderlaufen. Die
Anstrengung besteht darin, die abgebrochene Kurve der ephemeren Parteien wieder
mit dem kontinuierlichen und sanften Kurvenverlauf der historischen Partei in
Übereinstimmung zu bringen. Das ist eine Grundsatzposition, aber es ist
kindisch, sie in ein Organisationsrezept transformieren zu wollen. Der
historischen Linie gemäß brauchen wir nicht nur die Kenntnis über die
Vergangenheit und Gegenwart der Menschheit, der kapitalistischen und auch der
proletarischen Klasse, sondern genauso eine präzise und sichere Kenntnis über
die Zukunft der Gesellschaft; sie ist in unserer Lehre mit sicherer Hand
vorgezeichnet und gipfelt in der Gesellschaft ohne Klasse und ohne Staat, die in
gewisser Hinsicht wohl eine Gesellschaft auch ohne Partei sein wird, wenn man
unter Partei ein gegen andere Parteien kämpfendes Organ versteht; es wird die
Partei jedoch in dem Sinn geben, dass sie die Verteidigung der Gattung gegen die
Gefahren der äußeren Natur und ihrer evolutionären und wahrscheinlich auch
katastrophischen Prozesse organisieren wird.
Die kommunistische Linke hat stets vertreten, dass sich ihr langer Kampf gegen
die dunklen und zeitlich begrenzten Wechselfälle der formalen Parteien des
Proletariats auf Positionen gestützt hat, die sich auf dem leuchtenden Weg der
historischen Partei in beständiger und harmonischer Art und Weise miteinander
verflechten. Die historische Partei bleibt durch die Jahre und Jahrhunderte
hindurch unversehrt: Seit den ersten Aussagen der entstehenden proletarischen
Lehre bis hin zur zukünftigen Gesellschaft, über die wir eine bestimmte Kenntnis
besitzen, weil wir die Strukturen und Nervenknoten der heutigen, nach Geld
jagenden Gesellschaft, die die Revolution umstürzen muss, erkannt haben.
Engels Vorschlag, das alte deutsche Wort „Gemeinwesen“ anstelle des Wortes
„Staat“ zu gebrauchen, steht im Zusammenhang mit Marx’ Aussage, nach der die
Kommune kein Staat mehr war, eben weil sie keine demokratische Körperschaft mehr
darstellte. Die theoretische Frage bedarf, nachdem Lenin sie behandelte, keiner
weiteren Klarstellungen, und es widerspricht nicht der Marx’schen Aussage, wenn
er feststellt, es könnte „scheinen, als wäre Marx viel mehr ‚Staatsanhänger’ als
Engels“, da er besser und präziser darlegte, dass die revolutionäre Diktatur ein
wirklicher, mit bewaffneten Kräften, repressiver Polizei und politischer Justiz
ausgerüsteter Staat ist, und sich diese terroristisch vorgehende Justiz nicht
die Hände, etwa durch rechtliche Winkelzüge, binden lässt. Die Frage bezieht
sich ebenso auf das von unseren beiden Lehrern ausgesprochene Urteil über die
revisionistische Idealisierung seitens der deutschen Sozialisten mit ihrer
törichten Formel vom „freien Volksstaat“, die nicht nur den Gestank des
bürgerlichen Demokratismus verbreitet, sondern auch den Begriff des
unvermeidlichen Klassenkonflikts umkehrt, wie den der Zerstörung des
historischen bürgerlichen Staates, und den auf seinen Trümmern zu errichtenden
erbarmungslosen proletarischen Umstürzler-Staat, der jedenfalls keinen Anspruch
auf ewige Verfassungen erhebt.
Es ist also nicht darum gegangen, ein „Modell“ des zukünftigen Staates mit
seinen konstitutionellen und konstituierenden Grundzügen zu entwerfen; das wäre
genauso albern, wie im ersten von der Diktatur eroberten Land ein Modell für den
Staat und die sozialistische Gesellschaft zu sehen.
Genauso hohl, vielleicht mehr als alles andere, wäre die Vorstellung, das Modell
einer perfekten Partei zu fabrizieren, eine Vorstellung die von den dekadenten
Schwächen der Bourgeoisie infiziert wurde: Ohnmächtig in der Verteidigung ihrer
Macht, in der Bewahrung ihres Wirtschaftssystems, das in die Brüche geht, und
sogar ohnmächtig, ihr eigenes theoretisches Denken zu beherrschen, flüchtet sie
in abnorme Roboter-Technologismen, um durch solch dumme, formale, automatische
Modelle ihr Überleben zu sichern und vor der wissenschaftlichen Gewissheit zu
fliehen, aufgrund derer wir über ihre historische Epoche und Zivilisation das
Wort „Tod!“ schreiben.
12. Unter den theoretischen, sagen wir für den Moment: „philosophischen“
Ausarbeitungen, die zur Aufgabe der kommunistischen Linken und ihrer
internationalen Bewegung gehören, findet sich die Entwicklung folgender These,
die wir schon des Öfteren behandelt haben und, wie wir ebenfalls nachwiesen, den
klassischen Positionen von Marx, Engels und Lenin folgt:
Die bedeutendste Wahrheit, die der Mensch wird erobern können, ist die Kenntnis
der zukünftigen Gesellschaft. Die „Errungenschaften“ der heutigen schäbigen,
kapitalistischen und demokratischen Gesellschaft sind für dieses Bauwerk keine
Voraussetzung, und die mit der bürgerlichen Revolution einhergehende angeblich
positive Wissenschaft ist nicht als Vermögen der Menschheit, auf das sich zu
stützen wäre, anzusehen; sie ist vielmehr eine Klassenwissenschaft, die zu
zerstören und Stück für Stück zu ersetzen ist, nicht anders, wie es mit der
Scholastik und den alten Religionen der vorhergehenden Produktionsweisen der
Fall war. Was die Theorie der ökonomischen Transformationen angeht, die vom
Kapitalismus – dessen Struktur wir recht gut kennen, während die offiziellen
Ökonomen keine Ahnung von ihr haben – zum Kommunismus führen, kommen wir
gleichfalls ohne die Beiträge der bürgerlichen Wissenschaft aus; und dieselbe
Missachtung hegen wir gegenüber ihrer Technik und Technologie, von der nur die
verblödeten opportunistischen Verräter glauben, dass sie uns die Tür zu großen
Errungenschaften öffnet. Auf absolut revolutionäre Art und Weise haben wir die
Wissenschaft vom Leben der Gesellschaft und ihrer Perspektive aufgebaut. Wenn
dieses Werk des menschlichen Geistes vollständig sein wird (was erst nach der
Niederschlagung des Kapitalismus, seiner Zivilisation, seiner Schulen, seiner
Wissenschaft und seiner verbrecherischen Technologie der Fall sein kann), werden
die Menschen erstmals auch die Wissenschaft und Geschichte der physischen Natur
schreiben und die großen Fragen des Universums, in seinem bisher
unentzifferbaren Werden, erkennen – angefangen mit der Frage, die von den mit
dem kirchlichen Dogma ausgesöhnten Wissenschaftlern weiterhin mit dem Namen
„Schöpfung“ belegt wird, bis hin zu den Abläufen auf unendlicher und unendlich
kleiner Stufenleiter.
13. Diese und andere Fragen sind das Tätigkeitsfeld der Partei, die wir – nicht
würdig, uns in die Linie der großen historischen Partei einzureihen – physisch
am Leben erhalten. Doch diese sehr theoretischen Begriffe sind keine
Hilfsmittel, um kleine Zänkereien und Zweifel zu lösen, die leider so lange
bestehen werden, wie wir vom barbarischen Milieu der kapitalistischen
Zivilisation umgebene und beherrschte Individuen sind. Solche
Begriffsbestimmungen können daher nicht dazu dienen zu erklären, wie sich die
Lebensform der vom Opportunismus freien Partei allmählich durchsetzen wird, was
Gegenstand des organischen Zentralismus ist und nicht mit Hilfe einer
„Offenbarung“ zutage tritt.
Diese evidente marxistische These ist als Vermögen der Linken in allen gegen die
Degenerierung des Moskauer Zentrums geführten Polemiken wiederzufinden. Die
Partei ist gleichzeitig Faktor und Produkt des historischen Verlaufs und kann
nie, ohne in einen neuen und noch kläglicheren Utopismus zurückzufallen, als ein
der Situation äußerliches und abstraktes Element angesehen werden, welches das
sie umgebende Milieu beherrschen könnte.
Dass es in der Partei das Bestreben gibt, ein unerbittlich anti-bürgerliches
Milieu zu schaffen, was die Charakteristiken der kommunistischen Gesellschaft
weit im Voraus antizipiert, ist eine alte Aussage, z.B. der jungen italienischen
Kommunisten im Jahr 1912. Nur darf man diese Zielsetzung nicht so verstehen, als
sei die ideale Partei ein von unüberwindlichen Mauern umgebendes Phalanstere (2).
In der Auffassung des organischen Zentralismus besteht die Garantie für eine
intakte Partei darin, dass ihr zuverlässige und bewährte Genossen angehören; wir
haben darauf gegenüber den Moskauer Zentristen stets bestanden. Wenn sie die
Grundzüge ihrer Lehre, ihrer Aktion und Taktik festklopft, beharrt die Partei
auf der Einzigartigkeit ihrer Methode, die unabhängig vom jeweiligen Ort und der
jeweiligen Zeit ist. All denjenigen, die den hier skizzierten Grundlagen
gegenüber in Verlegenheit geraten sind, steht es natürlich frei, die Reihen der
Partei zu verlassen. Nicht einmal nach der Machteroberung ist eine erzwungene
Mitgliedschaft denkbar; weshalb es auch außerhalb der richtigen Bedeutung des
organischen Zentralismus bleibt, wenn auf disziplinarischer Ebene Druck ausgeübt
wird, wobei es nicht ausbleiben kann, dass sogar das abgenutzte Vokabularium
bürgerlicher Verfassungen nachgeahmt wird, wie etwa die Befugnis der Exekutive,
zur Wahl stehende Formationen aufzulösen und umzubilden – alles Formen, die
nicht nur für die proletarische Partei selbst, sondern sogar für den zeitlich
befristeten revolutionären Staat eines siegreichen Proletariats als historisch
überwunden anzusehen sind. Die Partei hat denjenigen, die ihr beitreten wollen,
keine konstitutionellen und rechtlichen Plattformen der morgigen Gesellschaft zu
unterbreiten, denn solche sind nur der Klassengesellschaft eigen. Wer die Partei
ihren klar vorgezeichneten Weg, der durch diese der Versammlung in Neapel im
Juli 1965 vorgelegten Thesen umrissen werden sollte, weitergehen sieht und noch
nicht auf dieser historischen Höhe ist, weiß sehr gut, dass er jede andere
Richtung einschlagen kann. In dieser Sache können wir keine andere Maßregel
gebrauchen.
(1) - Modigliani, Guiseppe (1872-1947): italienischer Reformist und Abgeordneter
(2) - Phalanstere: Bezeichnung für die vom utopischen Sozialisten Charles Fourier geplanten sozialistischen Kolonien.