Internationale Komunistische Partei Das invariante und einheitliche werk der partei

 

Kommunistische Partei Italiens
Rassegna Comunista, Nr. 2, 15. April, Nr. 4, 31 Mai 1921

 

Partei und Klasse

Partei und Klassenaktion

 


PARTEI UND KLASSE

In den vom II. Kongress der Kommunistischen Internationale angenommenen, wahrhaft marxistischen Leitsätzen über die Rolle der Kommunistischen Partei in der proletarischen Revolution wird zuallererst das Verhältnis zwischen Partei und Klasse definiert, und es wird festgestellt, dass die Klassenpartei nur einen Teil der Klasse in ihre Reihen aufnehmen kann – nie die ganze Klasse und wohl auch nie ihre Mehrheit.

Diese auf der Hand liegende Tatsache wäre noch deutlicher geworden, wenn präzisiert worden wäre, dass man nicht einmal von Klasse sprechen kann, solange nicht eine Minderheit derselben dahin drängt, sich als politische Partei zu organisieren.

Was ist denn, unserer kritischen Methode nach, eine gesellschaftliche Klasse? Existiert sie, wenn wir rein sachlich, äußerlich eine Analogie der sozialen und ökonomischen Bedingungen für große Massen von Individuen feststellen? Eine Analogie ihrer Stellung im Produktionsprozess? Das wäre sehr mager. Unsere Methode bleibt nicht dabei stehen, die in einem bestimmten historischen Moment bestehende gesellschaftliche Struktur zu beschreiben und – nach Art der scholastischen Klassifizierung der Naturalisten – eine abstrakte Scheidewand zwischen den Individuen zu errichten, die diese Struktur bilden. Die marxistische Kritik fasst die Gesellschaft in ihrer Bewegung, ihrer zeitlichen Abfolge, wobei wesentlich historische und dialektische Kriterien angewandt werden, d.h. untersucht werden die Geschehnisse, wie sie wechselseitig aufeinander einwirken und den Gang der Geschichte formen.

Statt nach der alten metaphysischen Methode eine Momentaufnahme der Gesellschaft zu nehmen, um dann darin die verschiedenen Kategorien auszumachen, worin die Individuen, deren Summe die Gesellschaft bilden soll, eingeordnet werden, sieht die dialektische Methode die Geschichte als Film, und es sind die hervorspringenden Merkmale bei dieser Abfolge von Bildern, worin die Klasse gesucht und aufgefunden werden muss.

Im erstgenannten Fall würden wir es den Statistikern und Demographen mit ihren tausend Einwänden gleichtun; in ihrer Kurzsichtigkeit kaum zu schlagende Leute, die sich die Abteilungen noch mal angucken und mit Sicherheit feststellen würden, dass es nicht 2, 3 oder 4 Klassen sind, sondern durch sukzessive Abstufungen und undefinierbare Zwischenräume unter sich getrennte 10, 100 oder 1000 Klassen. Im zweiten Fall indes haben wir ganz andere Faktoren, um den Protagonisten des historischen Dramas, eben die Klasse, zu erkennen, ihre Merkmale, ihr Wirken, ihre Ziele festzustellen – Dinge, die aufgrund ihrer Gleichförmigkeit Gestalt annehmen, und zwar inmitten ständig wechselnder Erscheinungen, die eine Reihe von Ereignissen bewirkt und die der armselige Statistiker fotografiert und in seiner sterilen und blutleeren Datentabelle auflistet.

Will man also die Existenz und das Handeln einer Klasse in einem bestimmten historischen Moment nachweisen, muss man nicht wissen, wie viele Pariser Kaufleute es unter Louis XVI. gab, wie viele englische Landlords im 18. Jahrhundert lebten oder wie viele Arbeiter Anfang des 19. Jahrhunderts in den belgischen Manufakturen schwitzten. Wir müssen unserer folgerichtigen Untersuchung eine ganze historische Periode zugrunde legen, darin die soziale, daher politische Bewegung aufspüren, vielleicht auch nur – durch Höhen und Tiefen, Erfolge und Rückschläge hindurch – den Verlauf einer Bahn finden, die sich gleichwohl deutlich abzeichnet, wenn man dem Komplex von Interessen folgt, die einen Teil der Menschen, die vom Produktionssystem und seinen Entwicklungen unter bestimmte Lebensbedingungen geworfen wurden, verbinden.

So konnte Friedrich Engels in einer seiner ersten klassischen Anwendungen dieser Methode aus der „Geschichte der arbeitenden Klassen in England“, eine Reihe politischer Bewegungen herausarbeiten und das Bestehen eines Klassenkampfes nachweisen.

Der dialektische Klassenbegriff steht weit über den langweiligen Einwänden der Statistiker. Sie haben kein Recht mehr, die gegensätzlichen, auf der Geschichtsbühne gegeneinander antretenden Klassen wie Chorgruppen auf den höheren und niederen Bühnenstufen zu gruppieren; sie können unsere Schlussfolgerungen auch nicht durch die Tatsache widerlegen, dass in den Berührungszonen zwischen den Klassen undefinierbare Schichten heimisch sind, durch die hindurch ein osmotischer Austausch einzelner Individuen stattfindet, ohne dass dadurch die Physiognomie der einander gegenüberstehenden Klassen verändert wird.

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Der Klassenbegriff darf also keine statische, sondern muss eine dynamische Vorstellung hervorrufen. Wo wir eine soziale Tendenz, eine Bewegung mit bestimmten Zielen wahrnehmen, existiert eine Klasse im wirklichen Sinne des Wortes. Aber dann existiert auch, wenn auch noch nicht formell, so doch in der Substanz, eine Klassenpartei.

Es sind Lehre und Kampfmethode, durch die eine Partei lebt. Sie ist eine Schule der politischen Denkweise und damit eine Kampforganisation. Ersteres betrifft das Bewusstsein, letzteres den Willen, oder genauer, die Zielsetzung.

Ohne diese beiden Merkmale lässt sich eine Klasse gar nicht als solche bezeichnen. Der bloße Empiriker kann, wir sagen es noch mal, die Affinität in den Lebensumständen mehr oder minder großer Gemeinschaften feststellen; aber das Werden der Geschichte, ihre Spur, findet sich nicht darin.

Und beide Merkmale werden überhaupt erst existent, wenn sie als Kondensat in der Klassenpartei konkret werden. So wie sich mit der Entwicklung bestimmter Bedingungen und Verhältnisse infolge der Durchsetzung neuer Produktionssysteme die Klasse bildet, so beginnen sich ihre Interessen stufenweise in einem Bewusstsein zu verdichten, das sich zuerst in kleinen Gruppen abzeichnet. Wenn die Masse zum Handeln gedrängt wird, sind es erst diese, das Endziel vor Augen habende Gruppen, die die anderen vorwärts stoßen und führen.

Man darf sich nun diesen Prozess – sobald wir von der modernen proletarischen Klasse sprechen – nicht auf bestimmte Arbeiterschichten oder Berufsgruppen bezogen vorstellen; sie in ihrer Gesamtheit fassend, schält sich ein genaueres Bewusstsein ihrer Interessenidentität heraus, aber auch, dass dies aufgrund einer Erfahrung und Kenntnis geschieht, die so komplex ist, dass es zunächst nur in kleinen Gruppen, die Elemente aus allen Berufsgruppen umfassen, auftreten kann. Der Überblick über den ganzen Verlauf des Kampfes, der auf die allgemeinen, die ganze Klasse angehenden Ziele gerichtet ist und sich in dem Vorsatz, die gesamte gesellschaftliche Ordnung umzustürzen, konkretisiert, kann sich nur in einer vorgeschrittenen Minderheit vorfinden.

Diese Minorität ist eben die Partei. Hat diese eine gewisse Entwicklungsstufe erreicht, was sicher nicht ohne Stockungen, Krisen, interne Konflikte, vor sich gehen kann, können wir von einer kämpfenden Klasse sprechen. Auch wenn die Partei nur einen Teil der Klasse umfasst, gibt doch erst sie ihrem Handeln und ihrer Bewegung die Einheit, weil in ihr jene Elemente zusammentreffen, die die bornierten lokalen und Berufsschranken überwunden haben, und die die Klasse fühlen und darstellen.

Die grundlegende Tatsache, dass die Partei nur ein Teil der Klasse ist, wird hierdurch deutlich. Wenn jemand das unbewegliche und abstrakte Bild der Gesellschaft betrachtet und darin einen Ausschnitt, die Klasse, und darin wiederum einen kleinen Kern, die Partei, fixiert, wird er natürlich sagen, dass der außerhalb der Partei stehende Teil der Klasse, der fast immer die Mehrheit ist, mehr Raum einnimmt, größeres „Recht“ hat. Denkt man aber daran, dass die Individuen in dieser großen Masse noch kein Klassenbewusstsein, noch keinen Klassenwillen haben, dass in ihrem Leben der Egoismus, der jeweilige Beruf, die jeweilige Region oder auch Nation, bestimmend sind, wird man einsehen, dass, um in der historischen Bewegung das einheitliche Handeln der Klasse zu verankern, ein Organismus notwendig ist, der sie belebt, sie zusammenschweißt, präzise: sie eingliedert; man wird dann in der Partei den wirklichen Lebenskern erkennen, ohne den es sinnlos wäre, die große Masse als geballte Kraft zu bezeichnen.

Die Klasse hat die Partei zur Voraussetzung – denn um historisch zu existieren und sich zu bewegen, muss die Klasse über eine kritische Lehre der Geschichte verfügen und in ihr ein Ziel haben.

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Die wirkliche und einzig revolutionäre Auffassung besteht darin, der Partei die Richtung der Klassenaktion anzuvertrauen. Jede Tendenz, die Notwendigkeit und Überlegenheit der Parteifunktion abzuschwächen und abzustreiten, lässt sich durch die marxistische Analyse und die lange Reihe der Erfahrungen mühelos auf kleinbürgerliche und anti-revolutionäre Ideologien zurückführen.

Wird die Rolle der Partei vom demokratischen Standpunkt aus in Frage gestellt, wird sie der gleichen Kritik unterworfen werden, mit der Marx die Lehrsätze des bürgerlichen Liberalismus vernichtet hat.

Man muss sich hier nur folgendes wieder vor Augen halten: da das Bewusstsein Folge und nicht Ursache der Lebensbedingungen ist, wird es in der Regel nicht so sein, dass der Ausgebeutete, der Hungernde und Unterernährte begreift, den wohlgenährten und mit allen Mitteln und Möglichkeiten ausgestatteten Ausbeuter beiseite räumen zu müssen (auch wenn dies ausnahmsweise der Fall sein mag). Die parlamentarische Demokratie bedient sich deshalb so gern der Basis- oder Volksbefragung, weil sie weiß, dass die große Mehrheit immer für die privilegierte Klasse stimmen und ihr freiwillig das Recht zu regieren und die Ausbeutung zu verewigen überlassen wird.

Der kleinen Minderheit der Bourgeoisie die Stimmabgabe zu verweigern oder zu erlauben, ändert nichts an den Verhältnissen. Die Bourgeoisie regiert mit Zustimmung der Mehrheit, nicht nur der Mehrheit der Bürger, sondern ebenso der der Arbeiter.

Wollte also die Partei ihr Vorgehen und ihre Initiativen von der gesamten proletarischen Masse abhängig machen, würde das Votum zu 99% zugunsten der Bourgeoisie ausfallen, ein Votum, das immer weniger klar, weniger revolutionär, vor allem immer weniger von einem Bewusstsein bestimmt wäre, das vom proletarischen Gesamtinteresse, der Zielgerichtetheit des revolutionären Kampfes, geleitet wird.

Das viel beschworene Recht der Proletarier, selbst über ihre Klassenaktion zu entscheiden, ist eine hohle Abstraktion ohne jeden marxistischen Sinn. Das eigentliche Anliegen dieser These ist, die revolutionäre Partei dahin zu bringen, ihre Reihen mit weniger reifen Schichten zu vergrößern; denn in dem Masse, in dem dies geschieht, werden sich ihre Beschlüsse den bürgerlichen und konservativen Absichten immer mehr nähern.

Wenn wir dafür Beweise brauchten, fänden wir sie nicht nur in der theoretischen Analyse, sondern auch in den reichen geschichtlichen Erfahrungen. Denken wir nur an den typisch bürgerlichen Gemeinplatz, der den „gesunden Menschenverstand“ der breiten Masse der „Verdorbenheit“ von „Rädelsführern“ gegenüberstellt; der sich eilig mit Verbesserungen für die Arbeiterschaft hervortut, während er wilde Hasstiraden gegen die Partei ausstößt, durch die allein die Arbeiter dahinkommen werden, die Interessen der Ausbeuter zu durchkreuzen. Und gerade der rechte Flügel der Arbeiterbewegung – die sozialdemokratische Richtung, deren reaktionärer Charakter sich historisch gezeigt hat – hört nie auf, die Masse in Gegensatz zur Partei zu stellen. Für die Sozialdemokratie existiert die Klasse durch die Basisbefragung, die den engen Rahmen der Partei sprenge; und wenn es ihr nicht gelingt, die Partei dahin zu bringen, die genauen theoretischen Bestimmungen und die der Handlungsdisziplin zu verwässern, versucht sie durchzusetzen, dass die Parteiorgane nicht nur von den Parteimitgliedern eingesetzt werden, sondern die Leitungsfunktion parlamentarischen Ämtern zufällt, deren Inhaber von einem breiteren Kreis gewählt werden – und tatsächlich bilden die Parlamentsgruppen immer die extreme Rechte ihrer Partei.

Die Degeneration der sozialdemokratischen Parteien der II. Internationale, ihre Entwicklung, die sich anscheinend noch mehr als die der unorganisierten Massen von der Revolution entfernte, hat ihren Grund darin, dass sie täglich ein Stück mehr von der Parteilehre abwichen. Eben infolge der arbeitertümlerischen, „labouristischen“ Praxis funktionierten sie nicht mehr als Avantgarde der Klasse, sondern waren nur mehr ihr mechanischer Ausdruck innerhalb eines Wahl- und Korporationssystems, das den weniger bewussten und dem jeweiligen Eigeninteresse verhafteten Arbeiterschichten denselben Einfluss zugestand wie der proletarischen Klasse. Die richtige Reaktion auf diese Entartung (auch schon vor dem Krieg und namentlich in Italien): die innerparteiliche Disziplin zu wahren, den Beitritt von nicht bedingungslos auf dem revolutionären Boden unserer Doktrin stehenden Elementen zu verhindern, den Parlamentsgruppen und lokalen Organen jegliche Autonomie abzusprechen, die schwankenden Elemente aus der Partei zu entfernen. Wie sich gezeigt hat, ist diese Vorgehensweise das wirkliche Gegenmittel gegen den Reformismus, und sie ist Grundlage der Theorie und Praxis der III. Internationale. Für die Kommunistische Internationale gilt das Primat der zentralisierten, disziplinierten und klar auf die Fragen der Prinzipien und der Taktik ausgerichteten Partei; der Zusammenbruch der sozialdemokratischen Parteien ist für sie nicht gleichbedeutend mit dem „Zusammenbruch der proletarischen Parteien überhaupt“, sondern bedeutet den Bankrott von Organismen, die vergessen hatten, dass sie Parteien waren, weil sie aufgehört hatten, welche zu sein.

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Gegen das kommunistische Verständnis der Parteifunktion richtet sich noch ein anderer Typus von Kritik, der als Reaktion auf die reformistische Versumpfung zutage trat. Es handelt sich dabei um die Einwände der syndikalistischen Strömung, für die die Klasse in den Gewerkschaften existiert und die in ihnen jene Organe sieht, die fähig sind, die Führung in der Revolution zu übernehmen.

Auch diese, der Linken zugeordneten Einwände, die – nach der klassischen Periode des französischen, italienischen, amerikanischen Syndikalismus – von Strömungen neu formuliert wurden, die der III. Internationale mehr oder weniger nahe stehen, lassen sich leicht auf halbbürgerliche Ideologien zurückführen, sowohl was die Kritik an den Grundsätzen als auch an den praktischen Ergebnissen betrifft.

Man will die Klasse in einer ihrer – sicherlich charakteristischen und sehr wichtigen – Organisationen auffinden: nämlich der Organisation, in der die Delegierten der Fachverbände vertreten sind, der Organisation, die vor der politischen Partei entstand, die sehr viel breitere Massen als letztere erreicht – und daher der Gesamtheit der Arbeiterklasse viel besser entspreche. Vom theoretischen Gesichtspunkt aus zeigt ein derartiges Kriterium nur einen unbewussten Kniefall vor derselben demokratischen Lüge, auf die die Bourgeoisie setzt, um ihre Herrschaft mittels der Aufforderung abzusichern, die Mehrheit des Volkes möge sich ihren Regierungschef wählen. Unter einem weiteren theoretischen Aspekt bewegt sich diese Methode in Richtung der altbekannten bürgerlichen Ansicht: vertraut man den Gewerkschaften die Organisierung der neuen Gesellschaft an, stellt man auch die Forderung nach Dezentralisierung der Produktion und Autonomie ihrer verschiedenen Zweige; eine Forderung, die sich von denen der reaktionären Ökonomen nicht unterscheidet. Aber wir haben hier nicht vor, eine kritische Untersuchung der syndikalistischen Theorien zu leisten. Es soll reichen, wenn wir, heute, und kurz auf die Erfahrungen zurückgreifend, festhalten, dass sich die äußerste Rechte der Arbeiterbewegung stets jenen Standpunkt zu eigen gemacht hat, der die Arbeiterklasse durch die Gewerkschaften vertreten lassen will, wohlwissend, damit die Merkmale der Bewegung, die wir kurz benannt haben, zu verwischen und abzuschwächen. Die Bourgeoisie selbst hegt seit neuestem eine alles andere als widersinnige Sympathie mit den gewerkschaftlichen Aktivitäten der Arbeiterklasse, insoweit, jedenfalls ihr intelligentester Teil, Reformen im Staats- und Verwaltungsapparat durchaus begrüßen würde; die „unpolitischen“ Gewerkschafter, mit ihrer Forderung, direkten Einfluss auf die Leitung der Industrie zu nehmen, kämen dann allerdings zum Zuge. Die Bourgeoisie fühlt sehr gut, dass das System nicht angetastet werden wird, solange das Proletariat auf dem Boden der unmittelbaren und wirtschaftlichen Forderungen der jeweiligen Berufszweige steht, und dass sich damit jenes unheilvolle „politische“ Bewusstsein abwenden lässt, das als einziges revolutionär ist, weil es auf den wunden Punkt des Gegners zielt: die Machtergreifung.

Nun ist weder den alten noch den neuen Syndikalisten entgangen, dass das Gros der Gewerkschaften von Rechtselementen beherrscht war, dass sich die Diktatur der kleinbürgerlichen Führer über die Massen, noch mehr als auf die Wahlgänge der sozialdemokratischen Pseudo-Parteien, auf die Gewerkschaftsbürokratie stützte. Also machten sich Gewerkschafter, und mit ihnen viele andere, die davon beseelt waren, gegen das reformistische Übel zu Felde zu ziehen, daran, neue gewerkschaftliche Organisationsformen zu suchen, und sie gründeten neue, von den traditionellen unabhängige Gewerkschaften. Dieser Notbehelf war praktisch so wirkungslos wie theoretisch falsch: man kam über das Grundkriterium der wirtschaftlichen Organisation (worin sich notwendig alle zusammenschließen, die sich aufgrund ihrer Stellung im Produktionsprozess in einer bestimmten Lage befinden, ohne dass von ihnen besondere politische Überzeugungen und besondere praktische Verpflichtungen, was auch große persönliche Opferbereitschaft einschließen kann, verlangt werden) nicht hinaus; ebenso wie man das Kriterium des „Produzenten“ arg strapazierte, was die engen Grenzen der „Berufsgruppe“ nicht zu sprengen vermag. Nein, den revolutionären Klassengeist kann allein die Klassenpartei wecken, die die ganze Palette der Bedingungen und Tätigkeiten des „Proletariers“ überblickt.

Man sucht noch immer nach solchen Rezepten. Eine völlig verfehlte Auslegung des marxistischen Determinismus, eine bornierte Vorstellung von der Rolle, die die letztlich von ökonomischen Faktoren determinierten Bewusstseins- und Willensfaktoren bei der Herausbildung der revolutionären Kräfte spielen, lässt viele ein „mechanisches“ Organisationssystem anvisieren, worin die Masse, entsprechend der Stellung der einzelnen in der Produktion, ich möchte fast sagen, automatisch zusammengefasst würde. Man glaubt, die Masse würde sich dann unweigerlich für die Revolution in Bewegung zu setzen und dabei größte revolutionäre Schlagkraft entwickeln. Es taucht wieder die Illusion auf, dass sich durch eine Organisationsform, die die alte Frage des Widerspruchs zwischen den begrenzten und graduellen Errungenschaften und der höchsten Verwirklichung des revolutionären Programms löst, die tägliche, unmittelbare Bedürfnisbefriedigung direkt mit dem Endresultat des Umsturzes des gesellschaftlichen Systems verknüpfen ließe. Doch, wie die Mehrheit der KPD in einer ihrer Resolutionen richtig feststellte (als diese Fragen in Deutschland besonders akut waren und in der Folge zur Abspaltung der KAPD führten): Die Revolution ist keine Frage der Organisationsform.

Die Revolution braucht einen Organismus aktiver und positiver Kräfte, die durch Lehre und Zielsetzung gebündelt werden. Breite Schichten und zahllose Individuen, die der Klasse, in deren Interesse die Revolution siegen wird, materiell angehören, befinden sich außerhalb dieser zusammengeballten Kraft. Aber die Klasse lebt, kämpft, geht voran und siegt durch das Werk jener Kräfte, die sie in den Geburtswehen der Geschichte aus ihrem Schoss herausgepresst hat. Die Keimzelle der Klasse ist die unmittelbare Gleichartigkeit der wirtschaftlichen Bedingungen, und dies erscheint als erste Triebkraft zur Überwindung, zur Zerschlagung des bestehenden Produktionssystems. Um aber diese großartige Aufgabe zu erfüllen, braucht sie ihre Lehre, ihre kritische Methode, ihren Willen, die darauf gerichtet sind, das einzulösen, was Analyse und Kritik vorweggenommen haben, braucht sie ihre Kampforganisation, die die Anstrengungen und Opfer so kanalisiert und einsetzt, dass die größtmögliche Wirkung erzielt wird. Und in all dem besteht das Dasein der Partei.

  

  

  


PARTEI UND KLASSENAKTION

Bei der Darlegung fundamentaler theoretischer Begriffe zeigten wir in einem früheren Artikel, dass, wenn die politische Partei der Arbeiterklasse (als unbedingt notwendiges Organ ihres Emanzipationskampfes) in ihren Reihen nur einen Teil, eine Minorität der Klasse umfasst, darin ebenso wenig ein Widerspruch liegt wie in der Tatsache, dass man nicht von einer Klasse im Besitz der historischen Bewegung sprechen kann, wenn nicht die Partei existiert, die von dieser Bewegung und ihrem Ziel ein klares Bewusstsein hat und sich im Kampf an ihre Spitze stellt.

Wenn man die historischen Aufgaben der arbeitenden Klasse auf ihrem revolutionären Weg sowohl vor als auch nach dem Sturz der Macht der Ausbeuter näher untersucht, wird dies die absolute Notwendigkeit der politischen Partei, die den gesamten Kampf der Arbeiterklasse leiten muss, nur bestätigen.

Um eine genaue und sozusagen greifbare Vorstellung von der „technischen“ Notwendigkeit der Partei zu vermitteln, müsste man vielleicht (auch wenn die Darlegung dadurch unlogisch erscheinen mag) zuerst die Arbeit in Betracht ziehen, die das Proletariat durchführen muss, nachdem es die Macht erobert und der Bourgeoisie die Leitung der gesellschaftlichen Maschinerie entrissen hat.

Die vielseitigen und schwierigen Funktionen, die das Proletariat nach der Eroberung der Staatsleitung wird übernehmen müssen, wenn es nicht nur die Bourgeoisie in der Leitung und Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten zu ersetzen, sondern eine neue und grundverschiedene Verwaltungs- und Regierungsmaschinerie zu errichten hat – mit weitaus komplexeren Zielen als denen, die Gegenstand der heutigen Regierungskunst sind –, werden ein organisiertes Heer von Individuen verlangen, die fähig sind, die unterschiedlichen Funktionen zu erfüllen, die verschiedenen Probleme zu analysieren und in den einzelnen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens jene Kriterien anzuwenden, die sich aus den allgemeinen revolutionären Prinzipien ableiten und Ausdruck der Notwendigkeit sind, aus der heraus die proletarische Klasse dahin drängt, die Fesseln des alten Regimes zu sprengen und neue gesellschaftliche Verhältnisse zu setzen.

Es wäre ein grundlegender Fehler zu glauben, die bloße berufsmäßige Eingliederung der Arbeiter nach ihren traditionellen Funktionen im alten Regime ergebe das Ganze dieser Ausbildung und dieser Kenntnisse. Es geht in der Tat nicht darum, sich die fachlichen Berufskenntnisse der besten Arbeiter zunutze zu machen, um in jedem Betrieb jene technische Kompetenz zu ersetzen, über die vorher der Kapitalist oder eng an ihn gebundene Elemente verfügten; es geht vielmehr darum, eine sehr viel synthetischere Tätigkeit, die eine politische, administrative und militärische Schulung verlangt, in Gang zu setzen. Gewährleistet werden kann das Entstehen einer solch breiten und tiefen Tätigkeit, die den klaren historischen Aufgaben der proletarischen Revolution präzise entsprechen muss, nur durch einen Organismus, der, wie die politische Partei, einerseits das historische Zukunftsbild vom revolutionären Verlauf und seinen Anforderungen hat und andererseits eine streng disziplinierte Organisation besitzt, welche die Unterordnung der einzelnen Funktionen unter das allgemeine Endziel der Klasse sichert.

Die Partei ist ein Ganzes von Personen, die die gleichen allgemeinen Anschauungen über den Verlauf der Geschichte teilen, die eine genaue Auffassung von der Zielsetzung der Klasse, die sie darstellen, haben, und die ein System von Lösungen der verschiedenen Probleme (denen das Proletariat gegenüberstehen wird, wenn es herrschende Klasse ist) in Händen halten. Daher wird die Klassenregierung nur eine Regierung der Partei sein können. Nach diesen kurzen Betrachtungen, die durch ein auch nur oberflächliches Studium der russischen Revolution sogleich in die Augen springen, kommen wir nun zum vorhergehenden Gesichtspunkt, das heißt zur Beweisführung, dass auch die revolutionäre Klassenaktion gegen die bürgerliche Macht nur eine Aktion der Partei sein kann.

Es ist zunächst klar, dass das Proletariat nicht reif wäre, die äußerst schwierigen Probleme der Periode seiner Diktatur zu meistern, wenn das für die Lösung dieser Probleme unentbehrliche Organ, die Partei, nicht schon viel früher begonnen hätte, den Korpus seiner Lehren und Erfahrungen zu errichten.

Aber auch für die unmittelbaren Erfordernisse des Kampfes, der im revolutionären Umsturz der Bourgeoisie gipfeln wird, ist die Partei das unentbehrliche Organ der gesamten Klassenaktion; mehr noch, konsequenterweise kann man von wirklicher Klassenaktion (d.h. einer Aktion, die die besonderen Interessen von Berufsgruppen oder die Grenzen situationsbedingter Probleme überwindet) nicht sprechen, wenn sie nicht als Parteiaktion geführt wird.

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Die Aufgabe der proletarischen Partei im historischen Prozess ist in allgemeinen Zügen die folgende:

Die ökonomischen und gesellschaftlichen kapitalistischen Verhältnisse werden für die Proletarier jeden Augenblick unerträglicher und drängen sie zum Versuch, dieselben zu überwinden. Durch die Gesamtheit der Wechselfälle hindurch lernen die Opfer dieser Verhältnisse, dass die individuellen Mittel in diesem vom Instinkt getriebenen Kampf gegen die elenden Zustände, in denen eine große Masse von Individuen lebt, unzulänglich sind und fangen an, Formen der kollektiven Aktion zu erproben, um dadurch dem eigenen Einfluss auf die soziale Situation mehr Gewicht zu verleihen. Aber die zahlreichen Erfahrungen, die die Arbeiter innerhalb der Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaftsform machen, lassen sie sehen, dass ein realer Einfluss auf ihr Schicksal erst erlangt werden kann, wenn sie das Netz der vereinten Anstrengungen über die Schranken der lokalen, nationalen und beruflichen Vereinigungen hinaus erweitern und auf ein integrales Ziel richten – auf den Umsturz der politischen Macht der Bourgeoisie. Denn solange die gegenwärtige politische Ordnung bestehen bleibt, liegt ihre Funktion darin, alle Anstrengungen der proletarischen Klasse, der Ausbeutung zu entrinnen, ins Leere laufen zu lassen.

Die ersten Proletarier, die sich dessen bewusst werden, sind gleichzeitig diejenigen, die in die Bewegungen ihrer Klassenbrüder eingreifen; durch die Kritik der Kämpfe und ihres jeweiligen Ausgangs infolge der Fehler und Enttäuschungen, geht eine immer größere Anzahl von Proletariern auf das Terrain des allgemeinen und zielgerichteten Kampfes über, der ein Kampf um die Macht ist, ein politischer, ein revolutionärer Kampf.

Zuerst wächst also die Anzahl der Arbeiter, die wissen, dass nur durch den revolutionären Machtkampf das Problem ihrer Lebensbedingungen zu lösen ist, und gleichzeitig verstärken sich die Reihen jener, die bereit sind, die unvermeidlichen Entbehrungen und Opfer des Kampfes auf sich zu nehmen und sich an die Spitze der durch ihre Leiden zur Revolte gedrängten Massen stellen, um ihre Anstrengungen rationell zu integrieren und schlagkräftig zu machen.

Die unerlässliche Aufgabe der Partei entwickelt sich daher in zwei Formen, zuerst als Manifestation des Bewusstseins, und dann des Willens: die erste übersetzt sich in eine theoretische, allen Anhängern gemeinsame Auffassung vom revolutionären Prozess, die zweite in die Annahme einer strengen Disziplin, die die Koordinierung des Kampfes und somit seinen Erfolg sichert.

Natürlich ist dieser Prozess des Heranreifens der Klassenenergien niemals geradlinig fortschreitend verlaufen, noch kann er es je. Es gibt Stockungen, Rückschritte, Verirrungen, oft verlieren die proletarischen Parteien jene substantiellen Merkmale, die ihren Bildungsprozess kennzeichneten und werden unfähig, ihre historischen Aufgaben zu erfüllen. Der Einfluss der kapitalistischen Erscheinungsformen im allgemeinen bewirkt, dass den Parteien oftmals ihre hauptsächliche Funktion entgleitet, nämlich den jeweiligen Bewegungen begleitenden Schwung zu zentralisieren und auf das einzig revolutionäre, höchste Ziel zu orientieren; sie beschränken sich darauf, unmittelbare und kurzfristig befriedigende Lösungen zu fördern – was die theoretische und praktische Degenerierung schon beinhaltet – wobei sie behaupten, das Proletariat könne innerhalb des kapitalistischen Regimes einen Gleichgewichtszustand zwischen den Klassen herbeiführen, indem sie ihre Politik nach tagespolitischen und Teilzielen ausrichten – und so auf die schiefe Bahn der Klassenkollaboration geraten.

Auf diese, im Weltkrieg ihren Höhepunkt erreichenden Degenerationserscheinungen folgte eine Periode gesunder Reaktion; die durch die revolutionären Richtlinien beflügelten Klassenparteien, die einzigen, die wirklich Klassenparteien sind, haben sich überall wieder gebildet und organisieren sich in der Dritten Internationale, deren Lehre und deren Aktion spezifisch revolutionär und „maximalistisch“ sind.

Gestützt auf die kommunistischen Parteien wird daher – und das in einer ganz nach Entscheidung aussehenden Phase – die Bewegung wiederaufgenommen, die durch die revolutionäre Bündelung der Massen, die Eingliederung ihrer Kräfte für den revolutionären Entscheidungskampf gekennzeichnet ist. Aber wiederum lässt sich der Prozess nicht einfach auf ein Reglement reduzieren; er weist ernste Probleme auf, ist nicht immun gegen teilweise auch schwere Misserfolge und ruft Fragen hervor, die die Aktiven der revolutionären Weltorganisation tief bewegen.

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Fest auf dem Boden ihrer Theorie stehend, muss die neue Internationale noch die allgemeinen Züge ihrer taktischen Mittel und Methoden umreißen. In den einzelnen Ländern der kommunistischen Bewegung stellt sich eine Reihe von Problemen – die taktischen Fragen kommen auf die Tagesordnung. Nachdem außer Frage steht, dass die politische Partei das absolut notwendige revolutionäre Organ ist, nachdem in den theoretischen Leitsätzen des II. Weltkongresses klar festgehalten wurde, dass die Partei nur ein Teil der Klasse sein kann, muss jetzt näher geklärt werden, welchen Umfang die Parteiorganisation haben und wie sich die Eingliederung der Massen vollziehen soll.

Es gibt, jedenfalls sagt man das, eine Tendenz, die kleine „reine“ Parteien wünsche, die selbstgefällig auf die Fühlungnahme mit den Massen verzichte, weil diese zu wenig Bewusstsein und revolutionäre Schlagkraft besäße. Diese Tendenz wird heftig kritisiert und, wir wissen nicht, ob zu Recht oder zu polemischen Zwecken, als „Linksopportunismus“ gekennzeichnet – ein Wort, das eher jenen Strömungen vorbehalten werden sollte, die die politische Funktion der Partei negieren und behaupten, die revolutionäre Integration der Massen könne durch rein wirtschaftliche, gewerkschaftliche Organisationsformen erreicht werden.

Es geht also darum, näher auf diese Frage des Verhältnisses zwischen Partei und Masse einzugehen. Teil der Klasse, einverstanden, aber wie soll man die quantitative Größe dieses Teils festlegen? Wir möchten hier folgendes sagen: wenn es ein Beispiel für den voluntaristischen Irrtum und somit typischen antimarxistischen „Opportunismus“ (was heute mehr denn je Häresie heißt) gibt, dann ist es der, a priori die Größen Proportion als organisatorisches Statut festschreiben zu wollen, festlegen zu wollen, dass die Kommunistische Partei eine bestimmte Anzahl von Arbeitern in ihren Reihen organisieren oder als Sympathisanten haben müsse, und dass diese Anzahl den soundsovielten Prozentsatz der proletarischen Masse auszumachen habe.

Wenn der durch Spaltungen und Verschmelzungen vor sich gehende Bildungsprozess der kommunistischen Parteien nach einer numerischen Regel beurteilt würde, d.h. die zu großen Parteien beschnitten und die zu kleinen künstlich vergrößert würden, wäre dies der lächerlichste Fehler, den man machen könnte. Unverstanden bliebe, dass dieser Prozess qualitativ und politisch bestimmt ist und sich zum allerersten Teil durch die dialektischen Rückschläge im geschichtlichen Verlauf herausschält, wobei er sich einer organisatorischen Gesetzgebung entzieht, welche die übertrieben große Funktion haben soll, die Parteien in eine Schablone zu gießen, damit sie den passenden und gewünschten Umfang erhalten.

Das, was man bei dieser Debatte um die Taktik unbestreitbar voraussetzen kann, ist der Wunsch, dass die Parteien möglichst groß sind und möglichst breite Schichten an sich ziehen. Es wird wohl keinen Kommunisten geben, der es zum Prinzip erheben würde, wenig zahlreich zu sein und sich im „Elfenbeinturm“ der reinen Partei einschließen möchte. Die zahlenmäßige Stärke der Partei und die glühende Sympathie der Proletarier sind ohne Zweifel positive revolutionäre Bedingungen; es sind Indizien für die Reife der revolutionären proletarischen Kraft und es gibt daher niemanden, der sich nicht wünschen würde, dass die kommunistischen Parteien in diesem Sinne Fortschritte machen.

Es existiert also kein definiertes oder definierbares Größenverhältnis zwischen den Parteimitgliedern und der großen Masse der Arbeiter. Wenn klar ist, dass die Partei als deren Minderheit ihre Funktion erfüllt, wäre es eine byzantinische Manier zu erforschen, ob es eine kleine oder große Minderheit sein soll. Gewiss ist: wenn die Entwicklung des Kapitalismus mit seinen Widersprüchen, seinen inneren Gegensätzen, aus denen die revolutionären Tendenzen urwüchsig hervorkeimen, noch in den Anfängen steckt, und die Perspektive der Revolution nur erst erahnbar ist, kann die Klassenpartei, die Kommunistische Partei, nur aus kleinen Gruppen von Vorkämpfern bestehen, die eine besondere Befähigung haben, das historische Zukunftsbild zu sehen, und der Teil der Massen, der ihnen folgt, kann nicht groß sein. Wenn sich jedoch die revolutionäre Krise nähert und die bürgerlichen Produktionsverhältnisse immer unerträglicher werden, werden sich auch die Reihen der Partei vergrößern und sich immer mehr Proletarier um sie scharen.

Wenn dies eine revolutionäre Epoche ist, und alle Kommunisten sind sich dessen sicher, müssten wir in allen Ländern starke Parteien mit großem Einfluss auf breite Schichten des Proletariats haben. Wo dies trotz der unwiderlegbaren Schärfe der Krise und ihres bevorstehenden Ausbruchs noch nicht der Fall ist, sind die Gründe dafür so komplex, dass es äußerst leichtfertig wäre, daraus zu schließen, man müsse die zu kleinen und zu wenig einflussreichen Parteien künstlich vergrößern, indem man ihnen andere Parteien bzw. Teile davon angliedert, weil sich in ihnen diejenigen finden, die enge Fühlung mit den Massen haben. Die Frage, ob es zweckmäßig ist, andere organisierte Elemente in die Partei aufzunehmen, oder umgekehrt, aus aufgeblähten Parteien einen Teil der Mitglieder auszuschließen, ist keine Frage der Arithmetik oder einer kindischen Enttäuschung über numerische Größen.

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Die Bildung der kommunistischen Parteien inner- und außerhalb Europas – wenn wir hier von der bolschewistischen Partei Russlands absehen – ging in einem äußerst raschen Tempo vor sich, ebenso wie sich die Krise, der der Weltkrieg alle Schleusen geöffnet hatte, äußerst rasch entwickelte. Aber die proletarischen Massen erlangen ein politisches Bewusstsein nicht linear, Schritt für Schritt, sondern werden, wie von den Wellen einer aufgewühlten See, im Entwicklungsgang des revolutionären Kampfes vor- und zurückgeworfen. Zum anderen haben die alten sozialdemokratischen Methoden auch weiterhin großen Einfluss, und die sozialdemokratischen Parteien denken nicht daran, den Schauplatz zu verlassen, wodurch, zum alleinigen Nutzen der Bourgeoisie, der notwendige Klärungsprozess sabotiert wird.

In den Momenten, in denen sich die Lösung der Krise gebieterisch aufdrängt und sich die Machtfrage stellt, wird das Spiel der Sozialdemokraten schrecklich klar, denn wenn sich die Entscheidung nicht mehr hinauszögern lässt und sie vor der Alternative stehen: Diktatur des Proletariats oder Diktatur der Bourgeoisie, wählen sie die Arbeitsgemeinschaft mit der Bourgeoisie. Aber bis zu diesem kritischen Punkt, und nicht früher, unterliegt ein beträchtlicher Teil der Massen noch den alten Einflüssen der Sozialverräter. Ferner, wenn die revolutionäre Situation auch nur scheinbar abebbt oder die Bourgeoisie beginnt, unerwartete Widerstandskräfte zu mobilisieren, ist es unvermeidlich, dass die Bewegung der kommunistischen Parteien vorübergehend an Boden verliert, sowohl auf organisatorischer Ebene wie hinsichtlich der Integration der Massen.

Gestützt auf die revolutionäre Internationale, die fest und sicher voranschreitet, wird uns die heutige instabile Lage mit diesen Wechselfällen konfrontieren. Dass die kommunistische Taktik solch ungünstigen Umständen die Stirn bieten muss, ist ebenso unzweifelhaft wie die Hoffnung unsinnig wäre, sie mit taktischen Formeln aus der Welt schaffen zu können oder es umgekehrt überzogen wäre, deshalb in Pessimismus zu verfallen.

Wenn wir theoretisch eine kontinuierliche Entwicklung der revolutionären Energien der Massen annehmen, müssten die Parteikräfte in numerischer und politischer Hinsicht ebenso kontinuierlich zunehmen, also quantitativ wachsen, weil die Kommunisten unter den Arbeitern immer mehr würden, wobei die Partei qualitativ dieselbe bliebe. Praktisch ist es so, dass, wenn sich die verschiedenen kontinuierlich verändernden Faktoren des sozialen Milieus in der Stimmung der Massen widerspiegeln, die Kommunistische Partei – auch wenn sie die Gesamtheit jener darstellt, die den Charakter dieser Entwicklung besser als die übrige Masse erkennt und erfasst – immer auch ein Resultat dieser Entwicklung sein wird. Auch wenn sie beständig als revolutionärer Beschleunigungsfaktor wirkt, ist sie doch diesen Wechselfällen ausgesetzt, und keine noch so raffinierte Methode wird den grundsätzlichen Charakter der verschiedenen Situationen verändern oder gar umkehren können.

Aber das schlechteste aller Gegenmittel, um die negativen Wirkungen abzuwehren, wäre, den theoretischen und organisatorischen Prinzipien der Partei periodisch den Prozess machen zu wollen, um sie näher an die breitesten Massen heranzubringen. In den Zeiten, in denen der revolutionäre Drang der Massen nachlässt, ist oftmals das, was manche als „Heran an die Massen“ bezeichnen, identisch damit, der Partei gerade jene Eigenschaften zu nehmen – und dadurch ihren ganzen Charakter zu verändern –, die als Reagenz auf die Massen einwirken, was diese die Vorwärtsbewegung wieder aufnehmen lassen wird.

Nachdem die kommunistischen Parteien fest auf dem Boden stehen, der die spezifischen Merkmale des revolutionären Prozesses aufgrund der Resultate der Theorie und historischen Erfahrung definiert – Resultate die nur international sein können und daher internationale Richtlinien zur Folge haben müssen –, hat ihre organisatorische Physiognomie für festgelegt zu gelten, und man muss begreifen, dass ihre Fähigkeit, immer breitere Massen an sich zu ziehen und zu stärken, im direkten Verhältnis von ihrer Treue zur strengen Disziplin gegenüber dem Programm und der innerparteilichen Organisation abhängt.

Dass die Kommunistische Partei im Besitz eines theoretischen, durch die internationalen Erfahrungen der Bewegung bestätigten Bewusstseins ist, welches sie auf die Anforderungen des revolutionären Kampfes vorbereitet sein lässt, gewährleistet, dass sich die Massen, auch wenn sie sich in gewissen Phasen von ihr abwenden, wieder um sie sammeln werden, sobald jene revolutionären Fragen auftauchen, die keine andere Lösungen als die im kommunistischen Programm vorgezeichneten mehr zulassen. Wenn die Erfordernisse der Aktion zeigen, dass ein zentralisierter und disziplinierter Führungsapparat gebraucht wird, wird die Partei, die sich nach diesen Kriterien konstituiert hat, an der Spitze der in Bewegung geratenen Massen stehen.

Wir kommen daher zu dem Schluss, dass die Kriterien, die Schlagkraft der kommunistischen Parteien zu beurteilen, ganz andere sein müssen, als „a posteriori“ ihre Mitgliederzahl mit der der anderen Parteien zu vergleichen. Sie müssen darin bestehen, die theoretischen Grundlagen des Parteiprogramms genau zu bestimmen, ebenso wie die innerparteiliche Disziplin aller ihrer Organisationen und Mitglieder: nur so kann sichergestellt werden, dass die Arbeit aller nutzbar gemacht wird, um die revolutionäre Sache so erfolgreich wie möglich voranzubringen. Jede andere Form des Eingriffs in die Struktur der Parteien, die sich nicht folgerichtig aus der direkten Anwendung dieser Bestimmungen ableitet, führt nur zu Scheinresultaten; die Klassenpartei würde ihrer größten revolutionären Kraft beraubt, die eben in der theoretischen und organisatorischen Kontinuität all dessen, was sie gesagt und getan hat, besteht, darin, „vorher gesagt“ haben zu können, wie sich der Prozess des Entscheidungskampfes zwischen den Klassen darstellen wird, und sich jene Organisationsform gegeben zu haben, die den Anforderungen der entscheidenden Periode wirklich gerecht wird.

Während des Krieges wurde diese Kontinuität überall zerrissen, und es blieb nichts anderes übrig, als wieder von vorne anzufangen. Als historische Kraft aber konnte die Kommunistische Internationale deshalb entstehen, weil sie auf dem Boden klarer, entscheidender revolutionärer Erfahrungen jene Richtlinien herausarbeitete, die den proletarischen Bewegungen in allen Ländern erlaubten, sich wieder zusammenzuschließen. Erste Bedingung für den revolutionären Erfolg des Weltproletariats ist also, dass die Internationale eine organisatorische Festigkeit erreicht, die den Massen überall ein Gefühl der Entschlossenheit und Sicherheit gibt, die die Massen zu gewinnen weiß, die auch auf sie warten kann, wenn es nicht vermeidbar ist, dass die Entwicklung der Krise noch ihre Wirkung tut, wenn sich nicht verhindern lässt, dass sie noch mal gewisse Erfahrungen mit der sozialdemokratischen Politik durchleiden. Wo sich dies noch als notwendig erweist, lassen sich keine besseren Rezepte ausstellen.

Der zweite Kongress der III. Internationale verstand diese Notwendigkeiten. Beim Eintritt in eine neue Epoche, die in die Revolution einmünden sollte, ging es darum, die Prämissen einer internationalen Organisations- und revolutionären Vorbereitungsarbeit festzulegen. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn, statt die einzelnen theoretisch-taktischen Fragen der Tagesordnung nach zu behandeln, die Grundlagen der theoretisch-programmatischen Auffassung festgelegt worden wären, deren Annahme die Organisationsbasis aller Parteisektionen hätte begründen müssen, wenn der Kongress also die für alle Mitgliedsparteien bindenden Aktionsrichtlinien in der Gewerkschafts-, Agrar-, Kolonialfrage usw. formuliert hätte. Aber all das ist in den Resolutionen des II. Kongresses enthalten und in den Leitsätzen über die Aufnahmebedingungen sehr gut zusammengefasst.

Das Wesentliche ist, die Anwendung der Beitrittsbedingungen als organisatorischen Gründungsakt der Internationale zu begreifen, als definitiv bindenden Vorgang, um die organisierten oder organisierbaren, in die neue Internationale einzugliedernden Kräfte aus dem Chaos zu befreien, in das die politische Bewegung des Proletariats geraten war.

Man wird die internationale Bewegung nie früh genug auf der Grundlage dieser international bindenden Richtlinien organisieren können, denn die große Kraft, die sie, wie wir vorhin sagten, bei der Erfüllung ihrer Aufgabe als Triebkraft der revolutionären Energien lenken muss, besteht in dem Beweis der theoretischen und praktischen Kontinuität auf ein präzise definiertes Ziel hin, das den Massen eines Tages klar vor Augen stehen und ihre feste Schwingungsrichtung – der Parteivorhut entgegen – determinieren wird und damit die größten Aussichten auf den Sieg der Revolution eröffnet.

Wenn dieser am Anfang stehende, aber im organisatorischen Sinn definitive Zusammenschluss der Bewegung zunächst mit sich bringt, dass es in manchen Ländern scheinbar nur schwache, weil zahlenmäßig kleine Parteien gibt, wird man, was sehr nützlich ist, die Gründe dafür untersuchen müssen; aber es wäre absurd, wollte man die Richtlinien und deren Anwendung einer Neubestimmung unterwerfen, um ein anderes Größenverhältnis zwischen Partei und Masse, bzw. zwischen der Partei und anderen Parteien zu erreichen.

Damit wäre bloß die ganze Arbeit der ersten organisatorischen Phase umsonst gewesen und zunichte gemacht; man würde mit der Vorbereitungsarbeit wieder – und gegebenenfalls noch öfter – von vorne anfangen müssen und jedenfalls Zeit verlieren statt gewinnen.

Das würde sich erst recht auf internationaler Ebene widerspiegeln, denn wenn die internationalen Organisationsrichtlinien auf diese Art und Weise interpretiert würden, könnten sie auch jederzeit widerrufen werden, und es würden Präzedenzfälle geschaffen, die die wiederholte „Neubildung“ der Parteien akzeptabel erscheinen ließen – so wie man nach einem misslungenen ersten Gussversuch das Metall erneut einschmilzt, um die Statue noch einmal zu gießen. Den „Beitrittsbedingungen“ der Internationalen würde dadurch jede Autorität und jegliches Ansehen genommen, die Festigung der Kader der Revolutionsarmee würde endlos hinausgeschoben, denn immer neue Parteispitzen könnten in dem Bestreben, „ihre Macht weiter zu halten“, in sie eintreten.

Es geht also gar nicht darum, große oder kleine Parteien zu befürworten, und auch nicht darum, ihren Kurswechsel zu fordern, weil sie keine „Massenparteien“ sind; man muss verlangen, dass sich die kommunistischen Parteien überall auf festen programmatischen und taktischen Organisationsrichtlinien gründen, worin die weltweit erworbenen kostbarsten Erfahrungen des revolutionären Kampfes gebündelt sind.

So schwierig es auch ist, all das ohne ausführliche Darstellungen von Lebensabschnitten der proletarischen Bewegung deutlich zu machen: es ist kein Produkt des abstrakten und frommen Wunsches, reine, vollkommene Parteien zu haben, sondern vielmehr Ausdruck des Strebens, die revolutionären Aufgaben der Klassenpartei möglichst wirksam und sicher in die Tat umzusetzen.

Nie werden sich die Massen sicherer um die Partei sammeln und nie werden die Massen umgekehrt einen sichereren Speicher ihres Klassenbewusstseins und ihrer Stärke haben, wie in dem Fall, in dem das gesamte Parteileben die Kontinuität der Bewegung in Richtung der revolutionären Zielsetzung aufrechterhalten konnte – in schweren Stunden auch ohne und gegen die Massen selbst. Diese werden nie wirklich erobert werden können, wenn nicht im Kampf gegen ihre opportunistischen Führer, was heißt, dass man sie gewinnen muss, indem man die Struktur der nicht-kommunistischen Parteien, die noch ihre Gefolgschaft in den Massen finden, zerfasert und die proletarischen Elemente in die Reihen der festen und beständigen kommunistischen Parteiorganisation eingliedert. Dies ist die einzig fruchtbare und praktisch erfolgreiche Methode.

Und sie stimmt genau mit der Methode überein, die Marx und Engels gegenüber der abtrünnigen Lassalleschen Bewegung gebrauchten.

Die Kommunistische Internationale sollte deshalb allen Personen und Gruppen, die mit theoretischen und taktischen Vorbehalten zu ihr kommen, mit größtem Misstrauen begegnen. Wir sind uns einig darin, dass diese Beurteilung im internationalen Rahmen nicht immer absolut dieselbe sein kann, dass von gewissen besonderen Bedingungen der Länder, in denen sich geringe Kräfte auf dem festen Boden des Kommunismus sammeln, nicht abstrahiert werden kann. Keine Rolle aber darf hierbei die zahlenmäßige Stärke oder Schwäche der Parteien spielen, um diese quantitative Größe als Kriterium dafür anzulegen, ob die Beitrittsbedingungen für Personen oder, schlimmer noch, Gruppen, die den Arbeitsmethoden und Leitsätzen der Internationale noch mehr oder weniger fern stehen, strenger oder lockerer formuliert werden sollen. Ihr Beitritt wäre dann kein Beitritt positiver Kräfte; statt neue Massen an uns zu ziehen, würden wir bloß Gefahr laufen, den Prozess, in dem sie erobert werden müssen, zu gefährden: dass wir sie möglichst schnell gewinnen wollen, darf nicht heißen, unbesonnen zu handeln und diesem Wunsch eine Richtung zu geben, die den klaren und definitiven Erfolg nur verzögern kann.

Für die Taktik der Internationalen, für die grundlegenden Kriterien, die deren Anwendung bestimmen, für die komplexen Probleme in der Praxis, ist es notwendig, sich bestimmte Regeln, die sich dauerhaft bewährt haben, anzueignen, so die absolute Kompromisslosigkeit gegenüber anderen, auch Arbeiterparteien – wobei vor allem die Folgen, die Übereinkünfte mit ihnen in der Zukunft zeitigen können, in Rechnung gestellt werden müssen, man darf sich also nicht von Nebenrücksichten leiten lassen, die für die Beschleunigung konkreter Situationen günstig scheinen; ferner die Disziplin der Mitglieder – wobei nicht nur ihre aktuelle Arbeit, sondern auch die vorherige Tätigkeit in Betracht zu ziehen und den erst jüngst „konvertierten“ Anhängern äußerst misstrauisch zu begegnen ist; weiter das Kriterium, das Pflichtbewusstsein der einzelnen oder Gruppen nachzuprüfen, und nicht so zu tun, als hätten sie jederzeit das Recht, ihre „Dienstzeit“ in der kommunistischen Armee anzutreten oder zu beenden. Auch wenn all dies zeitweilig den Kreis der Partei zu sehr einzuengen scheint, handelt es sich nicht um theoretischen Luxus, sondern um die taktische Methode, die das Faustpfand der zukünftigen Schlagkraft ist.

Hunderte von Beispielen beweisen, wie wenig die „in letzter Minute“ Bekehrten unsere Reihen stärken, jene Mitglieder also, die sich unter bestimmten Umständen reformistischen Richtungen anpassten und sich heute entschließen, die kommunistischen Richtlinien anzunehmen, weil sie von den oftmals zu optimistischen Aussagen über die bevorstehende Revolution beeindruckt sind. Es genügt eine erneute Veränderung der Situation – und wer weiß schon im Krieg, wie viele Vorstöße und Rückzüge einander vor dem letzten Sieg abwechseln werden –, damit diese Elemente wieder in den Opportunismus zurückfallen, was in inhaltlicher Hinsicht auf unsere Organisation nicht ohne Wirkung bleiben wird.

Die internationale kommunistische Bewegung soll ein Zusammenschluss nicht nur derjenigen sein, die fest von der Notwendigkeit der Revolution überzeugt und bereit sind, unter größten Opfern für sie zu kämpfen, sondern gleichzeitig jener, die entschlossen sind, auch dann auf revolutionärem Terrain zu handeln, wenn die Schwierigkeiten des Kampfes wie Stolpersteine den Weg bedecken und das Ziel weiter in die Ferne rücken.

Wenn sich die revolutionäre Krise zuspitzt, werden wir, auf dem festen Boden unserer internationalen Organisation handelnd, den heute noch schwankenden Elementen die feste Schwingungsrichtung geben und mit den sozialdemokratischen Parteien verschiedener Schattierungen fertig werden.

Wenn die Lage nicht unmittelbar revolutionär ist, werden wir auch nicht einen Augenblick lang das Risiko eingehen, uns von der strukturellen Arbeit in der Vorbereitungsphase ablenken zu lassen und uns den Notlösungen tagespolitischer Probleme zu fügen, die nur der Bourgeoisie Nutzen brächten.

* * *

Ein weiterer Aspekt der Taktik ist die Wahl des richtigen Zeitpunktes, in dem die Kommunistische Partei die Losungen, ob für ein Vorgefecht oder für den Entscheidungskampf, ausgeben muss.

Man debattiert heute leidenschaftlich über die „Offensivtaktik“ der kommunistischen Parteien; man versteht darunter, bewaffnete Kampfeinheiten der Parteimitglieder und -anhänger zu haben, die in einem bestimmten Moment zu Angriffen aufgefordert werden, um die Massen in eine allgemeine Bewegung hineinzuführen oder auch, um der reaktionären Offensive der Bourgeoisie durch Propagandaaktionen entgegenzutreten.

Auch hier gibt es normalerweise zwei entgegengesetzte Beurteilungen, deren Urheberschaft wohl nicht bei den Kommunisten zu finden sein dürfte.

Kein Kommunist kann gegen den Einsatz bewaffneter Aktionen, gegen Unterdrückungsmaßnahmen, auch terroristischer Art, aprioristisch Bedenken hegen und leugnen, dass die Kommunistische Partei die Leitung bei solchen, diszipliniert und organisiert durchzuführenden Aktionsformen in die Hand zu nehmen hat.

Ebenso kindisch wäre die Auffassung, nach der der Einsatz von Gewalt und bewaffneten Aktionen dem „Tage X“ vorbehalten seien, dem Tag des Entscheidungskampfes um die Machteroberung. Zur Realität der revolutionären Entwicklung, die diesem Kampf vorausgeht, gehören zwangsläufig blutige Zusammenstöße zwischen Proletariat und Bourgeoisie, nicht nur, insofern es sich um mögliche, ihr Ziel noch nicht erreichende Machteroberungsversuche des Proletariats handelt, sondern auch in der Hinsicht, dass es unvermeidlich immer wieder auftretende spontane Zusammenstöße zwischen den sich auflehnenden Proletariern und den bürgerlichen Verteidigungskräften oder auch zwischen den „weißgardistischen Haufen“ und von ihnen angegriffenen und provozierten Arbeitern geben wird. Ebenso falsch ist die Ansicht, die kommunistischen Parteien müssten solche Aktionen missbilligen und alle Anstrengungen für einen bestimmten finalen Moment aufsparen, denn jeder Kampf braucht seine Lehr- und Ausbildungszeit, und die revolutionäre Fähigkeit der Partei zur Eingliederung aller, auch potentieller Kräfte, muss in diesen Vorgefechten herausgebildet und erprobt werden.

Diese Überlegungen würde jedoch derjenige falsch bewerten, der die Aktion der politischen Klassenpartei als Aktion eines Generalstabes auffasst, von dessen alleinigem Willen die Bewegung und der Einsatz der bewaffneten Kräfte abhänge, der sich also eine Taktik zusammenbastelt, in der die Partei – nachdem sie eine militärische Struktur geschaffen hat und sie für ausreichend stark entwickelt hält – in einem bestimmten Augenblick losschlägt und glaubt, mit ihren Kräften die Verteidigungskräfte der Bourgeoisie schlagen zu können.

Der Offensivkampf der Partei ist erst denkbar, wenn die reale wirtschaftliche und soziale Lage die Massen, und zwar breite Massen, für die Lösung von Problemen in Bewegung setzt, die ihre Lebensumstände unmittelbar betreffen. Für die wirklich revolutionäre Orientierung des so entstandenen Aufruhrs ist es unerlässlich, dass die Partei eingreift, seine allgemeine Zielsetzung klar festlegt und ihn in eine rationelle, auch militärtechnisch gut organisierte Aktion integriert. Dass sich die revolutionäre Vorbereitung der Partei bereits in den spontanen Teilkämpfen der Massen in vorausbestimmte, geplante Aktionen umsetzen kann, steht ebenso außer Frage wie die Vergeltungsschläge gegenüber dem weißen Terror ein unerlässliches taktisches Mittel sind, denn dieser will dem Proletariat das Gefühl geben, seinem Gegner definitiv unterlegen zu sein und es von der revolutionären Vorbereitung abhalten.

Aber zu glauben, durch das Manövrieren oben genannter Kräfte – seien sie auch noch so hervorragend und breit organisiert – die Situation verändern und aus einem Zustand der Stagnation den allgemeinen revolutionären Kampf in Gang setzen zu können, ist noch eine voluntaristische Auffassung, die in der Arbeitsweise der marxistischen Internationale keinen Platz haben kann und darf.

Man „macht“ weder Parteien noch Revolutionen. Man leitet sie mittels der Zusammenfassung der positiven internationalen und revolutionären Erfahrungen, um dem Proletariat die bestmöglichen Koeffizienten des Sieges in dem Kampf zu sichern, der die historische Epoche, in der wir leben, unweigerlich beschließen wird. Dies scheint uns die richtige Schlussfolgerung.

Die grundlegenden Leitlinien der Massenaktion, die sich in den, von der Internationale für alle Mitgliedsparteien festzulegenden organisatorischen und taktischen Richtlinien ausdrücken, dürfen nicht so weit gehen, sich einzubilden, die Parteien könnten die Revolution anzetteln, in der ganzen Breite und mit allen Merkmalen, die dazu notwendig sind; vielmehr müssen sie von der marxistischen Dialektik bestimmt sein, wobei sich vor allem auf die programmatische Klarheit und Einheitlichkeit einerseits, auf die durch die Taktik zentralisierte Disziplin andererseits zu stützen ist.

Es scheint zwei „opportunistische“ Abweichungen zu geben. Die erste leitet das Wesen und den Charakter der Partei daraus ab, ob sie, beim gegebenen Stand der Dinge, in der Lage ist, beträchtliche Kräfte zu sammeln, oder ob sie das nicht kann, d.h. man lässt sich die organisatorischen Richtlinien durch die jeweilige Situation aufdiktieren, um der Partei künstlich eine andere Struktur zu geben, als die, zu der die Situation geführt hatte. Die andere besteht darin zu glauben, die Partei könne, wenn sie nur zahlenmäßig stark und militärisch gut ausgebildet ist, durch Angriffsbefehle revolutionäre Situationen auslösen, d.h. man maßt sich an, eine historische Situation durch den Willen der Partei zu schaffen.

Ob es sich nun um die sogenannte „rechte“ oder „linke“ Abweichung handelt – klar ist, dass beide den marxistischen Weg verlassen. Im ersten Fall wird auf das verzichtet, was die legitime Eingriffsmöglichkeit einer internationalen Formierung der Bewegung ausmachen kann und muss, auf das bisschen Einfluss, den unser Wille – als Produkt eines klaren Bewusstseins und einer klaren historischen Erfahrung – auf die Entfaltung des revolutionären Prozesses, dessen Verwirklichung möglich und notwendig geworden ist, haben kann. Im zweiten Fall misst man dem Willen der Minderheit einen irrealen und zu großen Einfluss bei und riskiert so nur schreckliche Niederlagen.

Die durch die Kampferfahrungen gegen die Degenerierungen der proletarischen Bewegung gefestigten kommunistischen Revolutionäre sind hingegen diejenigen, die fest an die Revolution glauben und sie zielstrebig ansteuern, aber nicht so wie jemand, der einen Wechsel in Händen hält und den Verzweiflung und Misstrauen überwältigen, wenn das Fälligkeitsdatum verstreicht, ohne dass er eingelöst wurde.