Internationale Komunistische Partei Das invariante und einheitliche Werk der Partei


Internationale Kommunistische Partei


PROLETARISCHE DIKTATUR UND KLASSENPARTEI
 
 

I.

Jeder Klassenkampf ist aber ein politischer Kampf. (Marx)

     Ein Kampf, der sich darauf beschränkt, eine andere Verteilung der Einkommen zu erreichen, ist, da er sich nicht gegen die soziale Struktur der Produktionsverhältnisse richtet, noch kein politischer Kampf. Der Umsturz der Produktionsverhältnisse, die einer sozialen Epoche und der Herrschaft einer bestimmten Klasse eigen sind, ist das Ergebnis eines langen, sich durch Vorstöße und Rückschläge entwickelnden politischen Kampfes.
     Die Kernfrage dieses Kampfes ist die des Staats, die Frage: „Wer hat die Macht?“ (Lenin).
     Der Kampf des modernen Proletariats äußert und verallgemeinert sich als politischer Kampf erst durch die Bildung und die Tätigkeit der Klassenpartei. Diese Partei ist durch folgenden Leitsatz gekennzeichnet: die Entfaltung des industriellen kapitalistischen Systems und der Herrschaft der Bourgeoisie die aus den liberal-demokratischen Revolutionen entsprangen, ist nicht nur weit entfernt die Widersprüche der Klasseninteressen historisch aufzuheben, sondern verschärft sie immer weiter und treibt sie immer mehr zum Ausbruch in den Bürgerkrieg, in den Kampf mit den Waffen in der Hand.

II.

     Die kommunistische Partei ist durch diese Voraussicht und dieses Programm gekennzeichnet; solange die Bourgeoisie noch die Macht hat, sind ihre Aufgaben die folgenden:
     a) Festlegen und verbreiten der Lehre der sozialen Entwicklung, der wirtschaftlichen Gesetze, die die heutigen Produktionsverhältnisse kennzeichnen, der Klassen Konflikte, die sie erzeugen, der Lehre über Staat und Revolution.
     b) Sie gibt der proletarischen Organisation die Einheit und die geschichtliche Beständigkeit. Einheit bedeutet nicht praktische Eingliederung aller Arbeiter und Halbarbeiterschichten – die ja eben durch die Herrschaft der Ausbeuterklasse unter dem Einfluss abweichender politischer Führungen und Kampfmethoden stehen – sondern die straffe internationale Verbindung der Avantgarde, die sich gänzlich nach der vollständigen revolutionären Linie richtet. Die Beständigkeit ist die stetige und ununterbrochene Behauptung der dialektischen Richtlinie, welche die Stellungen der Bewegung in Kritik und Kampf, durch die Reihe der verschiedenen Bedingungen hindurch, verbindet;
     c) Weitsichtige Vorbereitung der Klassenmobilisierung und Offensive durch passende Ausnutzung jeder Propaganda- Agitation- und Eingriffsmöglichkeit in jedem der Teilkämpfe die von den täglichen Interessen hervorgerufen werden, bis zur Organisation des illegalen Aufstandsapparates zur Eroberung der Macht.
     Wenn die allgemeinen Bedingungen und die organisatorische, politische und praktische Festigkeit der Klassenpartei es zum Ausbruch des allgemeinen Kampfes für die Macht bringen, so leitet die Partei die revolutionäre Klasse, nachdem sie sie siegreich im sozialen Krieg geführt hat, auch bei der Ausführung der grundsätzlichen Aufgabe: die Zerschlagung und Vernichtung der Organe die den kapitalistischen Staat bilden, das heißt der bewaffneten Verteidigungsorgane und des allgemeinen Verwaltungsapparates, so wie aller angeblichen Vertretungen der Meinungen oder der Berufsinteressen durch Abgeordnetenorgane, welche sie auch sein. Ob er sich nur lügenhaft als klassenloser Ausdruck der Mehrheit der Bürger darstellt, oder mehr oder weniger offen als Diktatur eines angeblich mit nationalen, rassischen, oder volkssozialen Aufgaben belehnten Regierungsapparates auftritt, muss der Klassenstaat der Bourgeoisie gleichwohl vernichtet werden. Geschieht dies nicht, so ist eben die Revolution geschlagen. 

III.

     Während der Periode die der Zerstörung des kapitalistischen Unterjochungapparates folgt bleibt die Aufgabe der politischen Arbeiterpartei ebenso grundlegend, da der Kampf zwischen den Klassen weitergeht, dialektisch umgewendet.
     Der kennzeichnende Grundsatz der kommunistischen Theorie über Staat und Revolution schließt vor allem die Anpassung des legislativen und exekutiven Mechanismus des Bourgeoisstaates zwecks der sozialen Verwandlung der wirtschaftlichen Formen aus (Sozialdemokratie). Aber es schließt ebenso die Möglichkeit aus, die Zerstörung des Staates und die Umbildung der alten wirtschaftlichen Verhältnisse, die dieser bisher schützte, einer kurzen, gewaltigen Krise gleichzusetzen (Anarchismus), oder den Entstehungsprozess der neuen Produktionsformen den spontanen und verstreuten handeln der Betriebs- oder Berufsunionen der Arbeiter zu überlassen (Gewerkschaftler).
     Jede soziale Klasse deren Herrschaft gestürzt wurde, selbst mit Terror, lebt noch lange im Gewebe des sozialen Organismus weiter, und gibt nie die Hoffnung einer Revanche auf, weder die Versuche sich politisch wieder zu organisieren, noch das Streben nach einer gewaltsamen oder auch verdeckten Restauration. Von herrschender ist sie zur geschlagenen und beherrschten Klasse geworden, aber sie ist deshalb nicht mit einem Schlag verschwunden.
     Das Proletariat, das mit der Entfaltung des Kommunismus selbst als Klasse verschwinden wird, wie alle anderen Klassen, organisiert sich selbst im ersten Stadium der nachkapitalistischen Zeit als herrschende Klasse (Manifest). Ist der alte Staat einmal vernichtet, tritt der neue proletarische Staat auf, die Diktatur des Proletariats.
     Die erste Bedingung der Überschreitung des kapitalistischen Systems ist der Umsturz der Macht der Bourgeoisie und die Vernichtung ihres Staates. Die Bedingung der tiefen und radikalen sozialen Umwandlung, die dann beginnt, ist die Errichtung eines neuen, eines proletarischen Staatsapparates, der wie jeder historische Staat imstande ist Gewalt und Zwang ausüben.
     Die Existenz eines solchen Apparates bezeichnet nicht die kommunistische Gesellschaft, sondern ihre Entwicklungsphase. Ist diese einmal beendet, gibt es weder Klassen noch Klassenherrschaft. Aber das Organ der Klassenherrschaft ist der Staat – und der Staat kann nichts anderes sein. Daher ist der proletarische Staat den die Kommunisten beanspruchen – aber diese Forderung hat nicht das geringste von einem mystischen Glauben an einen absoluten, idealen Wert – eine Klassenwaffe, ein dialektisches Instrument das sich gerade durch die Erfüllung seines Zweckes langsam auflösen wird, in dem Masse wie die soziale Organisation sich in einem langen Prozess verwandeln wird, und vom sozialen Unterjochungssystem der Menschen (was sie nach der Vorgeschichte immer gewesen) zu einem einheitlichen, wissenschaftlichen Netz der Verwaltung der Dinge und Naturkräfte wird (Engels).

IV.

     In der Rolle des Staates hinsichtlich der sozialen Klassen und kollektiven Organisationen bestehen viele grundsätzliche Unterschiede zwischen dem Staat, wie er in der Geschichte der aus bürgerlichen Revolutionen entstandenen Regime erscheint, und dem Staat, der nach dem proletarischen Sieg auftreten wird
     a) Vor dem Kampf und endgültigen Sieg stellte die bürgerliche Ideologie ihren zukünftigen post-feudalen Staat nicht als Klassenstaat dar, sondern als Volksstaat, begründet auf der Aufhebung jeder Ungleichheit vor dem Gesetz – was ihrem Behaupten nach der Freiheit und Gleichheit aller Gesellschaft Mitglieder entsprach.
     Die proletarische Lehre verkündet offen, dass ihr zukünftiger Staat ein Klassenstaat sein wird, das heißt solange die Klassen bestehen werden, ein Instrument in der Hand einer einzigen Klasse. Die anderen werden prinzipiell und tatsächlich außerhalb des Staates gestellt, „vogelfrei“ sein. Sobald die Arbeiterklasse die Macht errungen hat, „wird sie sie mit niemandem teilen“ (Lenin).
     b) Nach dem politischen Sieg der Bourgeoisie wurden, infolge einer hartnäckigen ideologischen Kampagne, in den verschiedenen Ländern feierlich Verfassungsurkunden oder Prinzipienerklärungen als Grundlage des Staates proklamiert; man betrachtete diese als ewig geltend, als den endgültigen Ausdruck der endlich entdeckten immanenten Regeln des sozialen Lebens. Von da an hätte das Spiel der politischen Kräfte in den unüberschreitbaren Schranken dieser Statuten stattfinden sollten.
     Während des Kampfes gegen das jetzige Regime, wird der proletarische Staat keineswegs als feste und beständige Verwirklichung von Regeln der sozialen Verhältnisse dargestellt, die eine abstrakte Erforschung des Wesens der Menschen und der Gesellschaft erlangt hätte. Im Laufe seiner Existenz wird der proletarische Staat sich beständig verändern, bis zu seiner Auflösung: das Wesen der sozialen Organisation, der Assoziation der Menschen, wird sich entsprechend der Verwandlungen der Technik und der Produktivkräfte radikal verändern, und die Natur des Menschen wird sich ebenso gründlich umwandeln, indem er seine Zugochsen- und Sklavennatur verlieren wird. Nach der proletarischen Revolution eine permanente, feste Verfassung zu verkünden wäre reiner Unsinn, dieser Gedanke steht dem kommunistischen Programm fern; praktisch wird es wohl geeignet sein gewisse Regeln niederzuschreiben, aber diese sind keineswegs unantastbar, sondern haben den technischen Charakter transitorischer Hilfsmittel, ohne jedes dumme Gefasel über soziale Ethik und Naturkräfte.
     c) Nach dem die siegreiche kapitalistische Klasse den feudalen Machtapparat erobert und auch zerstört hatte, benutze sie ohne Zaudern die Staatsmacht zum Niederschlagen der Versuche einer Konterrevolution oder Restauration. Aber selbst die kühnsten terroristischen Maßnahmen wurden in der Rechtfertigung nicht dargestellt als einfach gegen die Klassenfeinde des Kapitalismus gerichtet, sondern gegen die Verräter des Volkes, der Nation, des Vaterlandes, der Bürgergesellschaft, wobei alle diese leeren Begriffe mit dem Staat selbst und letzten Endes mit der Regierung und der Regierungspartei identifiziert wurden.
     Das siegreiche Proletariat wird seinen Staat gebrauchen „um den unvermeidlichen verzweifelten Widerstand der Bourgeoisie zu zertrümmern“ (Lenin), und wird die ehemaligen Herrscher und ihre letzten Anhänger hart niederschlagen so oft sie sich, in logischer Verteidigung ihrer Klasseninteressen gegen jene Maßnahme sträuben, die das Ausrotten der wirtschaftlichen Privilegien bezwecken. Diese sozialen Elemente werden dem Staat gegenüber in einer äußerlichen, passiven Lage sein: wenn sie versuchen die ihnen aufgezwungenen Passivität abzuwerfen, wird die materielle Kraft sie niederdrücken. Sie nehmen an keinem „Gesellschaftsvertrag“ Teil, und haben keine „gesetzlichen oder patriotischen“ Pflichten. Wahre Kriegsgefangene des sozialen Krieges (was übrigens die Aristokraten und Pfaffen für die jakobinische Bourgeoisie de facto ja auch waren) werden sie nichts verraten können, weil man von ihnen keinen lächerlichen Treueeid verlangt haben würde.
     d) Der historische Glanz der Volksversammlungen und der demokratischen Konvente verdeckt kaum die Tatsache, dass der Staat der Bourgeoisie zugleich mit bewaffneten Körpern und einer Polizeiwache versehen war, zum Kampf gegen die Kräfte des ancien regimes im Innern und im Äußern; die Guillotine trat eiligst an die Stelle des Galgen. Dieser Exekutivapparat war beauftragt die gesetzmäßige Gewalt auszuüben, im allgemeinen historischen Gebiet sowie gegen die isolierten Übertretungen der Tausch- und Zuteilungsregeln die der Privatwirtschaft eigen; er trat daher ganz natürlich gegen die ersten proletarischen Regungen auf, die, wenn auch nur instinktiv, die bürgerlichen Produktionsformen bedrohten. Diese harte Realität des neuen sozialen Dualismus wurde durch das Spiel des „Legislativapparates“ verdeckt, der angeblich das Teilnehmen aller Bürger und Parteiansichten am Staat und seiner Führung verwirklichte, im perfekten Gleichgewicht des sozialen Friedens.
     Im proletarischen Staat, der offen die Merkmale einer Klassendiktatur trägt, wird es keinen Unterschied zwischen exekutiver und legislativer Macht geben; beide Funktionen werden von den selben Organen ausgeübt, weil eben ihre Trennung jene Regime kennzeichnet, die die Diktatur einer Klasse hinter einer äußerlich mehrere Klassen und Parteien umfassenden Struktur verdecken und schützen. „Die Kommune war keine parlamentarische Versammlung sondern eine handelnder Körper“ (Marx).
     e) In seiner klassischen Form entsprach der Staat der Bourgeoisie der individualistischen Ideologie, welche die theoretische Fiktion gleichförmig über alle Bürger verteilt, obwohl sie nur geistige Widerspiegelung ihrer wirklichen wirtschaftlichen Grundlage, des Privateigentums, das Monopol einer Klasse ist; daher wollte er zwischen dem gesetzmäßigen Staatszentrum und dem Einzelnen keine andere Vermittlungsorganisation anerkennen als die verfassungsmäßigen, auf Wahl begründeten Versammlungen. Die Klubs und politischen Parteien, die in der Zeit des Aufstandes notwendig gewesen, duldete er Kraft der demagogischen Behauptung der Meinungsfreiheit, und als reine Glaubensvereine und Wahlagenturen. In einem zweiten Stadium zwang die Realität der Klassenunterdrückung den Staat die Assoziationen wirtschaftlicher Interessen, die Arbeiterunionen oder Gewerkschaften zu dulden, die er aber misstrauisch als „Staat im Staate“ betrachtet. Schließlich kam es dazu, dass einerseits die Kapitalisten die Form der Unionen zur solidarischen Verteidigung ihrer Klasseninteressen annahmen, und andererseits der Staat sich daran machte, Arbeitergewerkschaften unter dem Vorwand der legalen Anerkennung in sich einzusaugen und zu entmannen, sie jeder Unabhängigkeit zu berauben um ihre Leitung durch die revolutionäre Partei zu verhindern.
     Im proletarischen Staat – in dem Masse wie eine Zeit lang noch Arbeitgeber, oder zumindest unpersönliche mit Geld bezahlte Lohnarbeiter beschäftigende Unternehmen existieren – werden die Arbeitergewerkschaften weiter bestehen um das Lebensniveau der Arbeiterklasse zu verteidigen, im parallelen handeln mit der Partei und dem Staat, während die Unionen der anderen Kategorien verboten sind. Im Gebiet der Verteilung der Einkünfte zwischen den proletarischen und nicht- oder halbproletarischen Klassen, kann es tatsächlich geschehen, dass auch andere Betrachtungen als die höheren Interessen des Kapitalismus das Einkommen der Arbeiter bedrohen. Aber diese Möglichkeit, die lange bestehen wird, rechtfertigt die untergeordnete Rolle der Gewerkschaft, im Vergleich zur politischen, kommunistischen Partei: diese, internationale revolutionäre Avantgarde, bildet mit den in noch kapitalistischen Ländern kämpfenden Parteien eine Gesamtheit, und hat als solche die Leitung des Arbeiterstaates.
     Der proletarische Staat kann nur von einer einzigen Partei beseelt werden; es wäre völlig sinnlos und käme über die konkreten Bedingungen nicht hinaus von dieser Partei zu fordern, dass sie in ihren Reihen eine Mehrzahl eingliedere, oder mit der alten Masche der Bourgeoisie, den „Volksabstimmungen“, die Genehmigung einer statistischen Mehrheit erlange. Unter den Möglichkeiten die historisch auftreten können, gibt es auch die Existenz politischer Parteien, die scheinbar aus Proletariern bestehen, aber unter dem Einfluss konterrevolutionärer Traditionen oder noch kapitalistischer Länder liegen. Ein solcher Gegensatz, der gefährlichste aller, kann nicht durch formale Rechte oder Abstimmungen innerhalb einer abstrakten „Klassendemokratie“ gelöst werden. Auch diese Krise wird nur auf dem Boden der Kräfteverhältnisse zu beseitigen sein. Es gibt kein statistisches Mittel, dass der wirklichen revolutionären Lösung den Sieg zusichern würde. Dieser kann nur durch den Festigkeit- und Klarheitsgrad der kommunistischen revolutionären Bewegung in der ganzen Welt bestimmt werden. Die Marxisten hatten Recht den naiven Demokraten (vor einem Jahrhundert im Westen und vor einem halben im Zarenreich) zu erwidern, dass die Kapitalisten und Besitzer nur eine Minderheit sind, und daher ihr Mehrheitsregime in Wirklichkeit das der Arbeiter sei. Wenn das Wort „Demokratie“ Herrschaft der Zahlreichen bedeuten würde, müssten die Demokraten sich unserer Klasse zur Seite stellen. Aber das Wort Demokratie, sowohl im wörtlichen Sinn („Herrschaft des Volkes“) als in dem dreckigen Sinn, in dem es immer mehr gebraucht wird, bedeutet, dass „die Macht nicht einer Klasse gehört sondern allen“. Genau wie wir mit Lenin die „bürgerliche Demokratie“ und die „Demokratie im allgemeinen“ ablehnen, müssen wir aus diesem historischen Grund die sich selbst widersprechenden Ausdrücke „Klassendemokratie“ und „Arbeiterdemokratie“ theoretisch und politisch zurückweisen.
     Die vom Marxismus verlangte Diktatur kann umso weniger mit Diktaturen von einzelnen oder Gruppen verwechselt werden, welche die Regierungsmacht in der Hand, sich selbst anstelle des Proletariats setzen würden, als sie offen bekennt, dass sie gerade notwendig weil sie eben die allgemeine Zustimmung nicht haben kann, und das auch in Abwesenheit einer Mehrzahl der Stimmen (wenn dies wirklich feststellbar wäre) die Diktatur nicht zu dämlich wäre, einfach abzudanken. Die Revolution bedarf der Diktatur, weil es lächerlich wäre sie durch 100% oder 51% zu bedingen. Da wo man solche Zahlen vorlegt ist die Revolution schon verraten.
     Die kommunistische Partei wird also allein regieren und nie ohne physischen Kampf der Macht entsagen. Der mutige Beschluss, den trügerischen Zahlen nicht zu unterliegen und sie nicht zu gebrauchen, wird den Kampf gegen die Entartung der Revolution erleichtern.
     Im höheren Kommunismus, wo es weder Geld, Merkantilismus noch nationale Schranken mehr geben wird und wo sich der Staat selbst auflöst, verlieren die Gewerkschaften ihre Existenzberechtigung. Die Partei bleibt als Kampforganisation notwendig, solange es auf der Welt noch Überreste des Kapitalismus gibt. Sie kann aber auch nachher noch weiterbestehen, als Träger und Verbreiter der sozialen Lehre als allgemeine Erkenntnis der Entwicklung der Verhältnisse zwischen der menschlichen Gesellschaft und der physischen Natur.

V.

     Der marxistische Begriff der Ersetzung von parlamentarischen Organen durch arbeitende Körperschaften, führt keineswegs zu einer „wirtschaftlichen Demokratie“ in der die Staatsorgane den Arbeitsplatz, den produktiven oder kommerziellen Einheiten, usw., angepasst werden, und wo nur die noch existierenden Fabrikherren und andere mit Besitz versehene Leute von den repräsentativen Funktionen ausgeschlossen werden. Das Abschaffen des Fabrikherren und des Besitzers kennzeichnet nur die Hälfte des Sozialismus; die andere Hälfte, die bedeutungsvollere, besteht im Abschaffen der wirtschaftlichen Anarchie des Kapitalismus (Marx). Wenn die neue sozialistische Organisation entstehen und sich entwickeln wird, wobei die Partei und der revolutionäre Staat die wichtigste Rolle spielen, werden nicht bloß die ehemaligen Fabrikherren und ihre Handlanger niedergehalten, sondern es werden vor allem die sozialen Rollen und Aufgaben der Individuen in einer völlig neuen und originalen Weise anders verteilt.
     Daher kann das vom Kapitalismus hinterlassenen Netz der Unternehmen und Dienste nicht, durch eine sogenannte „Souveränitätsübertragung“ an seine zentralen Organe, zur Grundlage des Staates gemacht werden. Es ist eben die Existenz des Staates einer einzigen Klasse und der fest und qualitativ einheitlichen und homogenen Partei, welche die günstigsten Bedingungen zur Neuordnung des sozialen Apparates bietet, so wenig als möglich dem Druck der beschränkten Interessen der kleinen Gruppen zu unterliegen, und sich so viel wie möglich nach dem allgemeinen Tatbestand und seiner wissenschaftlichen Untersuchung nach dem kollektiven Wohlstand zu richten.
     Diese Veränderungen im Räderwerk der Produktion werden enorm sein; denke man nur an das Programm der Umwälzung der Verhältnisse zwischen Stadt und Land, das Marx und Engels so oft betont haben und das der heutigen Tendenz aller Länder direkt entgegensteht.
     Ein den Arbeitsplätzen nach ausgerichtetes Netz ist daher eine ungenügende Formel, eine Wiederholung der alten proudhonschen und lassallschen Stellungen die der Marxismus schon längst verworfen hat.

VI.

     Die genaue Natur der Verbindung zwischen der Basis und den Zentralorganen des Klassenstaates ist hauptsächlich ein Ergebnis der historischen dialektischen Entwicklung, und kann nicht von „ewigen Prinzipien“, einem „Naturrecht“ oder von einer heiligen und unantastbaren Verfassungsurkunde abgeleitet werden. Diesbezügliche Details anzugeben wäre eine Utopie, und von dieser ist, wie Engels sagte, bei Marx kein Tröpfchen zu finden. Selbst die berühmte Idee der auf Meinungsfreiheit begründeten Machtübertragung des einzelnen „Wählers“ durch einen platonischen Akt, muss den metaphysischen Nebelgebilden überlassen werden; denn die Meinung ist in Wirklichkeit eine Widerspiegelung der materiellen Bedingungen, und die Macht der Eingriff einer physischen Kraft.
     Die negative Kennzeichnung der Arbeiterdiktatur ist klar festgelegt; Bourgeois und Halbbourgeois haben keine politischen Rechte mehr, es wird ihnen mit Gewalt verboten sich in Interessensverbänden oder politischen Agitationsunionen zu vereinen, sie werden nie am offenen Tag stimmberechtigt sein, niemanden wählen oder zu irgendwelchen „Posten“ oder Funktionen abgeordnet. Aber selbst das Verhältnis zwischen dem Arbeiter, dem anerkannten und aktiven Mitglied der herrschenden Klasse, und dem Staatsapparat, wird den künstlichen und trügerischen Charakter der Beauftragung verlieren, Beauftragung eines Abgeordneten, einer Liste oder einer Partei. Denn „beauftragen“ bedeutet: auf die Möglichkeit der direkten Aktion verzichten, und diese angeblich „souveräne“ Funktion ist bloß ein Entsagen, zumeist zugunsten der Gauner.
     Die arbeitenden Gesellschaftsmitglieder werden sich in lokalen, territorialen Organismen vereinen, je nach ihrem Wohnsitz, manchmal je nach den Versetzungen die ihnen die Teilnahme an der Neugestaltung des Produktionsapparates vorschreibt. Durch ihre stetige und ununterbrochene Aktion wird das teilnehmen aller sozial aktiven Elemente am Räderwerk des Staatsapparates, und damit an der Verwaltung und Ausübung der Klassenmacht, realisiert. Dieses Räderwerk im Voraus zu entwerfen, bevor das Klassenverhältnis seine konkrete Form angenommen, ist unmöglich.

VII.

     Die Kommune bestimmte als charakteristische und äußerst wichtige Richtlinie (Marx, Engels, Lenin), dass ihre Mitglieder und Beamten zu jeder Zeit absetzbar, und ihr Gehalt den Durchschnittslohn der Arbeiter nicht überschreiten könne. Durch diese Maßnahme und systematische Rotationen, wird jede Trennung zwischen Arbeitern an der Peripherie und den Bürokraten im Zentrum aufgehoben. Der Staatsdienst muss aufhören eine Karriere und selbst ein Beruf zu sein. Es ist gewiss, dass diese Kontrollen praktisch riesige Schwierigkeiten bieten werden. Aber Lenin hat einst seine Verachtung für Pläne einer Revolution ohne Schwierigkeiten ausgesprochen. Die unvermeidlich auftretenden Konflikte können durch den Erlass von Verordnungen nicht völlig beseitigt werden; sie bilden ein historisches und politisches Problem, ein reales Kräfteverhältnis. Die bolschewistische Revolution hielt nicht vor der Konstituierenden Versammlung inne, sondern zerstreute sie. Die Sowjets der Arbeiter, Bauern und Soldaten, waren entstanden. Vom Dorfe aus bis über das ganze Land dehnten sich diese originalen, im Brand des sozialen Krieges gebildeten, Staatsorgane (die 1905 schon erschienen), in einer Eingliederung immer größerer territorialer Einheiten, und ihre Struktur entsprach keinem der Vorurteile über „Menschenrechte“ oder „allgemeine, freie, direkte und geheime Wahlen“.
     Die kommunistische Partei entfesselte und gewann den Bürgerkrieg, besetzte die Kernpunkte im sozialen wie militärischen Sinn, vervielfachte durch die Eroberung der Anlagen, Gebäude, usw., ihre Propaganda- und Agitationsmittel, und bildete ohne Zögern und lange Prozeduren die „bewaffneten Arbeitertrupps“ (Lenin), die Rote Garde, die revolutionäre Polizei. In den Sowjetversammlungen gewann sie die Mehrheit mit dem Schlagwort: „Die ganze Macht den Sowjets“. Ist aber diese Mehrheit eine rein juristische Feststellung, eine kalte, gleichgültig statistische Tatsache? Keineswegs: wer dafür stimmt, dass der Sowjet der mit dem Blut der proletarischen Kämpfer eroberten Macht entsagen oder sie verschachere – sei er nun ein Spitzel oder im guten Glauben irrend – wird von seinen Kampfgenossen mit Kolbenschlägen hinausgejagt. Man wird keine Zeit verlieren ihn einer „legalen Minderheit“ zuzurechnen, denn die Revolution braucht nicht diese gemeine Heuchelei, an der die Konterrevolution sich weidet.

VIII.

     Andere historische Tatbestände, als die russischen im Jahre 1917 – frischer Umsturz des feudalen Despotismus, unglückseliger Krieg, Rolle der opportunistischen Führer – können, nach denselben grundsätzlichen Richtlinien, andere praktische Gestaltungen des Grundnetzes der Staatsorgane hervorbringen. Seit die proletarische Bewegung sich vom Utopismus befreit hat, findet sie ihren eigenen Weg und Erfolg durch genaue Erkenntnis sowohl der heutigen Produktionsform und der Struktur des heutigen Staates, als auch der strategischen Fehler der proletarischen Revolution, sei es im „heißen“ sozialen Krieg in dem die Kämpfer der Kommune 1871 glorreich gefallen, oder im „kalten“ in dem wir nach 1917 bis 1926 die große russische Schlacht verloren, in der Lenins Internationale dem hauptsächlich durch die niederträchtige Unterstützung aller Opportunisten verstärkten Weltkapitalismus gegenüberstand.
     Die Kommunisten können keine festgelegten Verfassungen anbieten. Sie müssen eine Welt von Lügen und von in Recht und herrschender Macht kristallisierten Verfassungen zertrümmern. Sie wissen, dass sie mittels eines revolutionären totalitären Kraft- und Machtapparates den Kampf rücksichtslos führen müssen, um zu verhindern, dass die abscheulichen Reste einer barbarischen Zeit wieder auftauchen, dass das Ungeheuer des sozialen Privilegiums wieder rachelustig und unterjochungsgierig den Kopf erhebt und zum tausendsten Mal seinen trügerischen Schrei ausstößt: Freiheit!

 

Battaglia comunista, Nr. 3-5, Februar/März 1951.